Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
Generation.
    Wieder trank sie hastig. „Überhaupt find ich’s sagenhaft okay, wenn man weiß, daß man’s richtig macht. Es einfach spürt. So wie Daniela und Renate. Erst genug Geld verdienen, dann aussteigen.“
    Hier widersprach er. So wie sie es darstelle, sei das nicht gewesen. „Doch“, beharrte sie. „Die hatten Berufe, die ihnen Spaß machten und sind dann weg. Und Sie sind der Allerschlimmste! Sie sind weg und machen trotzdem weiter!“
    Martina griff zum Glas; er stellte richtig.
    „Wir haben uns umgestellt. Langsam. Das war nicht von vornherein geplant.“
    „Geplant, geplant! Josephine war auch nicht geplant! Da war’s schlicht zu spät. Außerdem ist der Sender in solchen Fällen sehr kulant. Wie sich da umstellen? Ich hab die Verantwortung. Wenn meine Eltern sterben, hab ich sie allein. Und noch sechsunddreißig Jahre Fernsehen vor mir! Ohne Ausstiegsmöglichkeit. Sonst ist die Pension futsch. Okay?“
    Wie gehabt leerte sie das Glas.
    Lukas hörte sich einen Satz sagen, einen dümmlich-altväterischen Satz im Sinne von Kommt-Zeit-kommt-Rat, einen Satz, wie ihn junge Menschen bei alten hassen — mit Recht. Zu Martina fiel ihm nichts ein und diskutieren wollte er nicht. Während seines Versuchs den dummen Satz mit einer Armbewegung quasi wegzuwischen, machte sie unversehens eine Drehung und lag in seinem Arm.
    Er beschloß passiv zu bleiben. Es amüsierte ihn, wie sich das knochige Mädchen häuslich einrichtete, es sich stinkgemütlich machte an seiner Schulter, auf seinem Schoß, schließlich an seinem Mund.
    Als sein Kopf im Schraubstock ihrer Daumen klemmte, schob er sie mit Muskelkraft von sich, schon gespannt, wie sie diese eindeutige Abwehr parieren würde.
    Ohne den geringsten Anflug von Sensibilität, griff Martina nach ihrem Glas und verkündete mit kindlich-euphorischem Unterton: „Weißt du, was ich jetzt möchte? Mit dir tanzen geh’n. Okay?“
    Der bloße Gedanke an die Zuckgymnastik ihres Jahrgangs schmerzte ihn. „Jetzt noch in die Stadt?“
    „Nicht in die Stadt. Ganz in der Nähe. Du wirst staunen!“
    Staunen war besser als weitere Daumengreiflichkeiten oder das Bilden von Sätzen aneinander vorbei. Von schottischen Gruppentänzen abgesehen, hatte Lukas seit Jahren zu Stimmungszwecken kein Bein mehr gerührt. Moderner Paartanz war ihm ungeläufig. Doch, wie es hier draußen auf dem Land in einer Tanzdiele zugehen würde, das schien ihm eine Studie wert.
    Martina fuhr anspruchsvoll. Der Männchenmaler sah sich sitzen, neben ihr, unangeschnallt auf dem Todessitz. Rein optisch lag die Gefahr weniger im Aufprall auf eine Mauer, einen Baum, als im Herzinfarkt: Junge Frau chauffiert betuchten Gentleman, dem sie sich als nächtliche Liegenschaft beizugesellen gedenkt, gegen seinen Instinkt, bis er zusammenbricht.
    Glücklicherweise dauerte es nicht lange. Alsbald hielt sie vor einer himbeersirupfarbenen Leuchtschrift in der Nacht, alhambra. Im schwülen Schein der Lichtröhren blitzten martialisch aufgezäumte Motorräder, beklemmend prächtig, Prunksärge für Selbstbeerdiger. Aus dem Dunkel schallte es elektronisch.
    Dorfdiscotheken seien der ganz heiße Tip, erfuhr er und entdeckte neben dem Eingang ein beschädigtes Emailleschild : … eiwillige Feuerwehr. Erster Eindruck im Kinderhades: Großgarage, vorbildlich als Fluchtburg geeignet, energiesparend da schallverstärkend. Bunte Lampen verdrehen die Augen wie auf der Geisterbahn, Spiegel irrlichtern, Dreivierteldunkel erspart teure Einrichtung. Gemütlichkeitsersatz entsteht durch das Trommelfeuer der Verstärker, das jeden Angstschrei vor der Zukunft, der sie nicht entkommen werden, schluckt, auch wenn sie zucken wie Derwische bei der Skygymnastik.
    Nichts mehr hören von unserer Welt — das ist ihre Welt.
    Martina sinkt im Sound, läßt das offene Haar rotieren, gegen den Uhrzeigersinn, wird erkannt aber nicht beachtet, schnippt zum peitschenden Takt mit ihren lauten Daumen. Der Graumelierte mimt mit, eine Uraltschildkröte, ins Aquarium für den Zierfischnachwuchs gefallen. Bewegung ist immer gut und Beobachten dem Jahrgang gemäß. Nur das Atmen, durch die Nase vor allem, bringt keine Freude und versagt auch psychedelisch. Doch das geht nur ihm so. Hier ist er Opa. Auf vielen Milchgesichtern scheint die Verzückung zur biederen Fastnachtsmaske erstarrt. Ihnen ist der Lärmladen Opportunistenlehrgang, um an jedem Platz das zu machen, was dort verlangt wird; andere geben sich weit über ihre Erbmasse hinaus enthemmt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher