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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Schäfer
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noch eine entfernte Ahnung. Gabor sah den menschenleeren Gang hinunter, die Dutzenden geschlossenen Türen aus furniertem Kirschholz.
    Wir sind im Restaurant direkt hinter den lärmenden Spielautomaten. Und ihr? Bringst du für Malte eine Banane? , hatte Berit geschrieben. Er starrte aufs Display, während er an den Moment auf der Pier dachte: die gebückte Haltung des Mannes, ein kurzer Anlaufschritt, dann ein Sprung und der schnelle Griff, mit dem er sich in die Lücke gezogen hatte, eine fließende Bewegungsabfolge wie tausendmal geübt. Er tippte: Sie ist müde. Ich bringe sie zur Kabine . Er schickte die Nachricht ab und schaltete das Telefon aus.
    Es gab weder Kontrolleure noch sonst jemanden. Auf der Treppe drückte sich nur ein Zimmermädchen mit einem Wäschesack verschämt an ihm vorüber. Er hatte erwartet, dass die Tür zu den Parkdecks abgeschlossen sein würde, aber als er die Klinke drückte und die Schulter gegen das schwere Eisen stemmte, wich sie zurück. Der Lärm war ohrenbetäubend, ein Klopfen oder Stampfen, das den Boden zittern ließ. Die Decke war so niedrig, dass er sie mit ausgestrecktem Arm hätte berühren können. Im bläulichen Licht der Leuchtstoffröhren standen die Reihen der Wagen so eng, dass sich die Türen kaum öffnen ließen. Gabor zögerte. Es war kein Mensch zu sehen. Er stieg über Tauberge, zwängte sich an einem Motorrad vorbei, das mit Gurten gesichert wurde, und gelangte über eine Treppe auf das tiefer liegende Deck. Hier unten war die Luft noch drückender, es roch nach Diesel und dem gummierten Plastik der Planen, und es kam ihm vor, als hätte das Schiff Schräglage, der Boden neigte sich, aber das musste eine Täuschung sein. Die Lastwagen bildeten gewaltige Mauern, und in den Nischen und Zwischenräumen war niemand zu sehen.
    Er bewegte sich planlos, ohne Vorsatz. Eingeklappte Spiegel, Straßenkarten, Thermoskannen auf den Ablagen hinter den Windschutzscheiben. Die meisten Wagen hatten griechische Kennzeichen, einige Züge kamen aus Deutschland oder Österreich. Türkei, Rumänien, er bemerkte einen aus Italien, doch die Scheibe war nicht getönt wie die des Fischtransporters. Er blieb stehen und lauschte. Nur der Lärm der Maschinen. Er ging auf die Knie und schaute zwischen riesigen Rädern unter den Fahrgestellen hindurch. Nichts. In der Nähe des Bugs entdeckte er endlich die Comicfische auf der Seitenwand. Gabor musste sich erst bis zur Schiffswand vorarbeiten, näherte sich dem Transporter von hinten. Er balancierte über Gerüststangen und Eisenträger, die sich festgezurrt an der Wand türmten, drückte, als er nah genug gekommen war, seinen Rücken nach hinten, um den Schriftzug zu lesen – »Ψάρια-Pesci-Fische« –, doch in diesem Moment musste sich die Sicherung gelöst haben, denn die Stangen unter ihm begannen zu schlingern, sein Fuß trat ins Leere, er verlor das Gleichgewicht und konnte gerade noch die Hände hochreißen, um nicht mit dem Gesicht auf den Boden zu fallen.
    Verschwommen sah er die Rundung eines Reifens, weiter hinten die weiße Bananentüte, die bis eben an seinem Handgelenk gehangen hatte. Erst jetzt spürte er das Kratzen der staubigen Luft in der Nase. Er konnte seinen rechten Fuß nicht bewegen. Zwei Stangen hatten ihn unter sich begraben. Er schloss die Augen, hielt die Luft an und zog vorsichtig, aber der Druck auf dem Knöchel war zu stark. Er legte seine Wange auf den geriffelten Eisenboden, wartete einen Moment und versuchte es erneut, aber es ging nicht. Plötzlich war da ein Scharren, direkt neben ihm. Als er die Augen öffnete, sah er Jeansbeine und das Gummi von Turnschuhsohlen. Gabor hob den Kopf und blickte erstaunt in das Gesicht eines Mannes. Er hatte dunkle Locken mit einer kalkweißen Staubschicht, die Wangen waren eingesogen, die Augen aufgerissen, als wäre auch er verwundert, Gabor zu sehen, doch bevor er etwas sagen konnte, verschwand der Mann aus seinem Blickfeld. Kurz darauf verringerte sich das Gewicht, und Gabor zog den Fuß vorsichtig hervor. Im nächsten Moment wurde er unter den Achseln gepackt und nach oben gerissen. Der stechende Geruch nach Schweiß und lange getragener Kleidung nahm ihm fast den Atem. Während Gabor den Fuß belastete, explodierten Sterne vor seinen Augen, doch der Schmerz ließ schnell wieder nach. Der Mann stand neben ihm, unruhig, obwohl er sich nicht bewegte. Er war einen halben Kopf kleiner als er, seine Schultern waren unter dem blauen Sweatshirt angezogen, und jetzt
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