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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Schäfer
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erschienen war, hatte aus der Nähe keinerlei Reiz. Nichts als eintöniges Gesträuch. Sie setzten sich in einen Aufenthaltsraum, in dem einige Rucksackjungen auf dem Boden schliefen, und Nele zog sofort einen Fuß auf das Polster des Sitzes, stützte ihr Kinn aufs Knie und verharrte in abwartender Eidechsenstarre.
    »Schön, dass du noch einmal mitgekommen bist«, sagte er, als für sein Empfinden genug Zeit vergangen war.
    Seine Tochter rührte sich nicht.
    »Sehr müde?«
    Statt einer Antwort die Andeutung einer Grimasse, zu der sie mit den Augen rollte. Er sah sie lächelnd an, bis ihr hin und her schlingernder Blick widerwillig in seinen rastete.
    »Vermisst du ihn schon?«
    Sie zog sich eine Strähne vors Gesicht, kastanienbraunes Haar, das als zentimeterbreiter Vorhang straff bis zum Kinn lief. Vor drei Jahren, als ihr Körper begonnen hatte sich zu verändern, hatten sich kleine Ausbuchtungen auf ihrer Nase bemerkbar gemacht, charmante Ansätze winziger Flügelchen, die ihre bis dahin makellose Spitze verbreiterten, und sie hatte im Badezimmer regelrechte Verzweiflungstänze aufgeführt und war, um den erschreckenden Plan ihres Wachstums zu durchkreuzen, vergeblich wochenlang mit einer aufgesteckten Wäscheklammer herumgelaufen. Jetzt schnellten ihre Augenbrauen zusammen, als kämpfte sie gegen die Wucht einer Erinnerung.
    »Ach, ich will ihn sowieso nicht wiedersehen. Er lästert so viel.«
    »Über dich auch?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Vielleicht ist er nur nervös, wenn er mit dir zusammen ist.«
    »Papa!«
    Die Abscheu auf ihrem Gesicht über seine Ahnungslosigkeit, als hätte er das Schlimmste, das Dümmste gesagt, das überhaupt möglich war. Gabor musste an den Mann auf dem Laster drei oder vier Decks unter ihnen denken, dessen Angst, entdeckt zu werden, er sich konkreter vorstellen konnte als das Empfindungsgemisch, das seine Tochter zu quälen schien.
    »An welchem Strand wart ihr denn?«
    »Mal hier, mal dort. Er hatte ein Boot.«
    »Ein Ruderboot?«
    »Ein Motorboot. Wir warten bei den Nordbuchten .«
    Um seine Bestürzung nicht zu zeigen, starrte Gabor durch die Glastür ins Treppenhaus, wo alles messingfarben glänzte, der Handlauf, die Rahmen der Bilder und die Einfassung des Übersichtsplans, während er für einen schmerzhaften Moment seine Tochter auf der weißen Lederbank eines Sportbootes neben einem der Russen sah, die neuerdings in den Perlendörfern residierten, denn die Buchten der Nordhälfte waren nur mit Schnellbooten zu erreichen.
    »Was für ein Motorboot?«
    »Ein Boot halt. Zum Wasserskifahren.«
    Ihr Gesicht war unter dem braunen Vorhang nicht mehr zu sehen. Sie pulte am Nagel ihres kleinen Zehs. Er wartete, jetzt Nele fest im Blick, aber sie schaute nicht auf.
    »So, meine Liebe, jetzt reicht’s aber. Ich kann verstehen, dass du deinen Eltern nicht erzählst, wen du wann triffst, aber du bist vierzehn Jahre alt und gestern Nacht um halb zwei nach Hause gekommen! Wie alt ist der Kerl?«
    Sie spreizte ihren kleinen Zeh ab, auf dessen Nagel der graue Lack wie eine Ascheflocke saß.
    »Ist doch egal. Ich seh ihn sowieso nicht wieder.«
    »Das ist nicht egal.« Sie schwieg. »Ich höre.«
    »Achtunddreißig. Aber was spielt das –«
    Er war so perplex, dass ihm die Worte fehlten. Er stammelte: »Nele, weißt du, dass …« Doch sie schob ihr Haar zur Seite und zeigte ihr Grinsen, triumphierend und enttäuscht darüber, dass er sich so leicht hinters Licht führen ließ.
    »Mensch Papa! Er ist achtzehn. Es war das Boot seines Vaters. Wir waren am Steinstrand um die Ecke, wo früher die Taverne mit dem Strohdach stand.« Sie kicherte, wollte etwas sagen, doch im nächsten Moment starrte sie abwesend durch die Scheibe. »Ich bin müde«, sagte sie.
    Er begleitete sie zur Kabine, und Nele wälzte sich so, wie sie war, auf die obere Koje und zog wortlos das Laken bis unters Kinn.
    Als er leise die Tür hinter sich zuzog, kam ein Mann mit gerötetem Gesicht schwankend den Gang entlang. Gabor nickte, blieb aber unbewegt stehen, die Hand noch am Knauf, selbst als der Mann schon in seiner Kabine verschwunden war. Das Dröhnen der Maschinen klang fern. Er schloss die Augen, um das leichte Schwanken des Schiffes wahrzunehmen, aber da war nur die gleichmäßige Erschütterung der Auslegeware unter seinen Schuhen. Sein Magen hob sich, als er an die Kraft dachte, mit der die gewaltigen Schrauben den Rumpf durchs Wasser schoben. Wahrscheinlich dunkelte es bereits, war die Küste nur
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