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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Schäfer
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instand gesetzte Haus auf dem benachbarten Grundstück bewohnte, von denen vor allem Timothy die ersten drei ihrem Anwesen an der Dordogne nachgejammert und die letzten zwei damit gedroht hatte, den ganzen rubbish wieder zu verkaufen und nach Kroatien umzusiedeln, wo die Preise noch realistisch und die Menschen bescheidener wären. Stramme Walker, die im Morgengrauen die Hänge des Profitis Ilias hinaufstürmten, Schachspieler, Winterschwimmer mit fester, immerbrauner Haut. Berit ließ sich hin und wieder zu einem Aperitif auf ihre Terrasse locken, aber Gabor hielt sich meistens fern und vermied, wenn es ihm denn gelang, auch das fachbezogene Geplänkel, das Maureen, die lange auf einer Notfallstation gearbeitet hatte, über das Feldsteinmäuerchen hinweg führen wollte, indem er so tat, als begriffe sein Fachidiotenhirn ihre Anspielungen nicht. Berit glaubte, dass die beiden ihren britischen Dünkel nur hervorkehrten, weil sie vor fast einem Jahrzehnt ihre Insel verlassen hatten und seitdem heimatlos durch den Süden des Kontinents tingelten, als Schutz, als eine Art Sicherheit gewährende Maßnahme. Aber ihn interessierte nur das, was er sah und hörte, und das waren süffisant gelüpfte Augenbrauen und abfällige, zustimmendes Lachen erpressende Bemerkungen über Land und Leute. Immerhin vergötterten sie Malte, der sie Mo und Timmy nannte und bei ihnen ein- und ausspazierte, als wäre er dort zu Hause. Ein Zuhause, in dem trotz Klimaanlage und Satellitenschüssel für Empfang der BBC neuerdings unkomfortable Zustände herrschten, denn durch ein Loch in der Abwassergrube gelangte auf geheimnisvolle Weise verunreinigtes Wasser in ihre Leitungen und schoss als bräunliche, intensiv riechende Brühe aus den Hähnen.
    »Ein paar Wasserkanister schleppen schadet gar nicht«, sagte er.
    Berit löste seine Hände von ihrem Bauch und beugte sich vor. Eine Möwe schnappte im Flug nach Brotstückchen, die jemand so geschickt in die Luft warf, dass der Vogel nur den Schnabel aufzureißen brauchte.
    »Eben habe ich etwas beobachtet«, sagte er. »Ein blinder Passagier. Ist neben einem Laster hergelaufen und dann aufgesprungen. Ein Junge, ein Mann, ich konnte sein Gesicht nicht erkennen.«
    »Wahrscheinlich einer von den Männern hinter dem Zaun«, sagte Berit und stützte sich auf die Reling.
    »Du hast Männer am Zaun gesehen?«
    Sie sah ihn an, erstaunt, dann belustigt. Eine Nadel, die tief in ihm einen Punkt der Empörung traf. Sein Rücken verhärtete sich, während er die Hände in den Hosentaschen vergrub und zur kleiner werdenden Stadt blickte. Die Kuppeln der Kirchen in der Altstadt waren von einem kreidigen Rot, und die Betonbauten am kahlen Hang weiter oben verloren mit jedem Meter an Hässlichkeit. Die Gipfellinie des Bergmassivs hinter Patras erinnerte ihn an einen gestauchten Wurm.
    »Und, hat er’s geschafft?«, fragte sie.
    In diesem Moment erscholl vertrautes Begeisterungsgeschrei. Ihr Sohn stürmte ihnen entgegen, die Arme wie Flügel ausgebreitet, und warf sich gegen Berits Beine, während Nele mit hängenden Schultern weiter hinten stehen blieb. Sie sah aus, als bräche sie gleich in Tränen aus.
    »Was ist los?«, fragte er, nachdem er zu ihr gegangen war.
    Nele schwieg. Er berührte sie am Arm.
    »Komm. Wir gehen ein bisschen.«
    In der ersten Woche waren Nele und er das einzige Mal diesen Sommer zusammen gewandert: vom letzten Perlendorf zu den verfallenen Kapellen von Paleochora und dann über die steinige Ostflanke bis zum Höhenweg, der sie durch flechtenüberzogenes Geröll zum nördlichsten Gipfel der Insel geführt hatte. Wie eine Gallionsfigur thront hoch über der zerklüfteten Steilküste eine Kapelle mit knatternder Flagge im Wind. Stunden später waren sie müde in die Korbsessel von Ilias’ Café gefallen und Nele hatte, albern vor Erschöpfung, Schulgeschichten erzählt, denen er kaum folgen konnte. Zwei Wochen später wäre solch eine Vertrauensseligkeit unvorstellbar gewesen, Nele war nur noch gelangweilt mit einer Schnute herumgelaufen und hatte für alles, was er sagte, ein genervtes Stöhnen übrig. Dennoch versuchte er jetzt an die schweigsame Wanderverbundenheit anzuknüpfen, indem er sie auf den offenen Seitengang führte und mit ihr zum Bug spazierte. Es ging ein schwacher Wind, der Himmel hatte sich zugezogen, erst weit über den Festlandbergen franste die Wolkendecke zu Schlieren aus und offenbarte einen rötlichen Abendhimmel. Die Küste, die ihm vom Hafen so verlockend
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