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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet
Autoren: Horst Petri
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Geschwisterliebe veranschaulichen. Auch wenn die geschilderten Geschwister über das Säuglings- und Kleinkindstadium hinausgewachsen sind, so verweist ihre Liebe doch auf eine frühe Wurzel, die in der primären Objektliebe der Kinder ihren Anfang genommen haben dürfte.
    Brüderchen und Schwesterchen fliehen von zu Hause, weil sie von der Stiefmutter alle Tage geschlagen und mit Füßen getreten werden und nichts als harte Brotkrusten zu essen bekommen. Wegen der hohen Müttersterblichkeit ersetzten zwar bis in das Zeitalter der modernen Medizin Stiefmütter sehr häufig die leiblichen Mütter; das in Märchen verwandte Stereotyp der »bösen Stiefmutter« weist jedoch darauf hin, dass hiermit einmütterlicher Aspekt benannt werden sollte, den man ungern den leiblichen Müttern nachsagte. So hat sich in der psychologischen Deutung durchgesetzt, Stiefmütter als symbolische Verkörperung der bösen mütterlichen Anteile zu betrachten. Die Bosheit der Mutter von Brüderchen und Schwesterchen wird folgerichtig noch einmal durch ihr Attribut als Hexe unterstrichen. »Die böse Stiefmutter aber war eine Hexe und hatte wohl gesehen, wie die beiden Kinder fortgegangen waren, war ihnen nachgeschlichen, heimlich, wie die Hexen schleichen, und hatte alle Brunnen im Walde verwünscht.« Diese Brunnenvergiftung verweist am eindrücklichsten auf eine frühe Mutter-Kind-Störung, weil sie symbolisch für eine, wie die Kinderanalytikerin Melanie Klein beschrieben hat, »böse Brust« steht, die nur eine »vergiftete Nahrung« spendet. Das Märchen beschreibt also eine Mutter, die ihren beiden Kindern die Nahrung vorenthält oder gar vergiftet und die sie schließlich mit Gewalt aus dem Hause treibt. Beiden Kindern, so ungeliebt sie sind, ist somit die Identifikation und Nachahmung einer als liebevoll erlebten Mutter verwehrt. Woher sollte ihre gegenseitige Liebe stammen, wenn nicht aus einer primären Bezogenheit? Wie stark ihre Liebe trotz der lieblosen Erfahrungen ist, wird in dem Märchen in »rührender« Weise geschildert. Nachdem der Bruder seine Schwester vor dem Einfluss der zerstörerischen Mutter gerettet hat, machen die beiden einen turbulenten Entwicklungsprozess durch. Auf ihrer langen Wanderung wird der Bruder durstig und möchte aus dem ersten Brunnen trinken. Aber die Schwester hört die Warnung: »Wer aus mir trinkt, wird ein Tiger.« Und sie bittet ihren Bruder: »Brüderchen, trink nicht, sonst wirst du ein wildes Tier und zerreißt mich.« Der Bruder verzichtet ihr zuliebe und wandert zum nächsten Brunnen. Hier vernimmt die Schwester die Warnung: »Wer aus mir trinkt, wird ein Wolf.« Wieder verzichtet der Bruder, bis er vom Wasser des dritten Brunnens inein Reh verwandelt wird. Nach tiefenpsychologischer Deutung handelt es sich bei diesen Bildern um die symbolische Verdichtung von Entwicklungsstufen. Der Tiger ist hier unverkennbar Ausdruck unkontrollierter aggressiver Triebkräfte, während der Wolf im Kontext des Märchens und entsprechend der Reifungsstufen der Triebentwicklung mehr die Macht ungesteuerter sexueller Bedürfnisse repräsentiert. In der Verkörperung des Rehs werden die wilden Triebanteile des Jungen befriedet. Die Liebe der Schwester, das dürfte der Sinn des Märchens sein, besitzt die Kraft, die Triebkräfte des Bruders zu beruhigen, zu besänftigen und ihm bei der Integration dieser Kräfte in eine erwachsene Ich-Struktur zu helfen. Aber dieser Prozess gelingt nur deshalb, weil der Bruder seinerseits durch seine Schwesternliebe zum Triebaufschub, zum Triebverzicht und schließlich zur Triebverarbeitung bereit und fähig ist: »Das Brüderchen trank nicht, ob es gleich so großen Durst hatte, und sprach ›Ich will warten bis zur nächsten Quellen‹.« Bruder und Schwester überwinden allen Streit, allen Hass und schließlich die gefährliche Inzestversuchung durch die Kraft ihrer frühen Liebe. Auf der dritten Entwicklungsstufe sind die wilden Wünsche gebannt und durch eine zärtliche Fürsorge ersetzt worden: »Da suchte es dem Rehchen Laub und Moos zu einem weichen Lager, und jeden Morgen ging es aus, und für das Rehchen brachte es zartes Gras mit. Abends legte es seinen Kopf auf den Rücken des Rehkälbchens, das war sein Kissen, darauf es sanft einschlief.« Der Bruder wird zu einem guten Begleiter, der seine Schwester so lange vor den drohenden Gefahren der Welt beschützt, bis er sie in die Hände eines Prinzen entlassen kann. Die Hochzeit dieser beiden endet mit der
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