Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichten aus der Müllerstraße

Geschichten aus der Müllerstraße

Titel: Geschichten aus der Müllerstraße
Autoren: be.bra Verlag , Hinark Husen , Robert Rescue , Frank Sorge , Volker Surmann , Heiko Werning
Vom Netzwerk:
werden den Teppich in den kommenden Tagen entfernen und in einem unserer anderen Objekte im Prenzlauer Berg verlegen. Nach unserem Verständnis ist diese Entscheidung auch in Ihrem Interesse
.
    Entschuldigen Sie die vorübergehenden Annehmlichkeiten
.
    Mit freundliche Grüßen
    Harry Künerich

Leopoldplatz

Hinark Husen
Neulich am Leopoldplatz
    Zwei schwarzhaarige Mädchen im fortgeschrittenen Girly-Alter schlendern vor mir den Leopoldplatz entlang. Ich werde bewusst und freiwillig Zeuge ihrer Unterhaltung.
    »Warum spielt der Libanon eigentlich nicht mit bei der WM?«
    Ich bin gespannt auf die Antwort. Wie weit geht der fußballerische Sachverstand der Freundin? Absolut nicht überrascht hätten mich folgende Antworten:
    1 Keine Ahnung.
    2 Die sind von den Israelis daran gehindert worden.
    3 Das fragen wir einfach Ali nachher mal.
    4 Die spielen, glaube ich, alle bei anderen Mannschaften.
    Damit hätte ich dann so ziemlich alle Schubladen geöffnet, die mein Klischeehirn mir anbietet. Die richtige Antwort kam tatsächlich so prompt, dass sie mir kaum Zeit gab, weiter in Vorurteilen zu schwelgen: »Die haben sich nicht qualifiziert.«
    Besser kann man es wohl kaum auf den Punkt bringen. Und genauso treffend dann die Bemerkung der Freundin, die ihr abschließendes Urteil nach kurzer Überlegung in ein ebenso schlichtes wie treffendes Wort kleidete: »Vollidioten!«
    »Libanons Gegner in der Qualifikation waren Singapur, Usbekistan und Saudi-Arabien, alle sechs Hin- und Rückspiele gingen verloren, mit null Punkten und einem Torverhältnis von drei zu vierzehn wurden sie Letzter in der Gruppe«, ergänzt die Freundin.
    Jetzt begann ich doch, ein bisschen mit den Ohren zu schlackern, aber bevor ich laut »Respekt« rufen konnte, kam die Replik der Freundin: »Sag ich doch, Vollidioten!«

Frank Sorge
Stimmungen
    Der Leopoldplatz ist das wunde Herz des Weddings, hier sind Granit und Asphalt härter als anderswo. Zumindest fühlt es sich für mich so an, wenn ich über den Platz schreite. Wie alle Passanten senke ich demütig den Kopf und laufe schneller über den klebrigen, fleckigen Boden mit den Scherben und dem immerwährenden Hauch »Odeur d’Urine«. Tauben zerren an Dönerleichen, hagere Trinker auf den Kirchentreppen nippen an braunen Flaschen, ein schnöder Springbrunnen schmeißt Frischwasser in die Luft, das in die Dreckdeponie der Brunnenschale hineinfällt, ohne das schlierige Gemisch darin jemals aufklären zu können. Es ist nicht schön hier, aber es darf auch nicht alles schön sein, wenn nicht alles schön ist.
    Eine junge Frau spricht mich mitten auf dem Platz an und will wissen, ob ich Arbeit suche. Arbeit auf einem Straßenfest könne sie anbieten. Ich bin etwas überrascht, aber dreimal muss man nicht raten, was ich antworte.
    »Pst, junge Frau«, sage ich, »wissen Sie nicht, wo Sie hier sind? Sie machen doch die ganze Stimmung kaputt.«
    Ich schüttele den Kopf und will eigentlich weitergehen, dann überlege ich es mir doch anders. »Mitten auf dem Leopoldplatz im Mekka der Arbeitslosen eine Arbeit anzubieten, Mannomann, Sie sind ja mutig. Haben Sie denn keine Angst?«
    »Wovor?«
    »Wovor, das fragen Sie noch? Wenn die Trinker-Jungs dahinten erfahren, was Sie hier machen, dann fliegen doch sofort die Pfandflaschen.«
    »Ach die, die werfen bestimmt nicht mit Pfandflaschen. Die brauchen die noch.«
    »Ich meine ja auch nicht, mit vollen Pfandflaschen. Aber mit leeren Pfandflaschen.«
    »Gut«, sagt sie, »ich werde es Ihnen erklären, warum ich davor keine Angst habe. Man könnte davon ausgehen, dass sechs leere Pfandflaschen eine volle sind, der Pfand reicht genau für eine neue, volle. Wenn einer von denen sechs Flaschen beisammen hat, wird er garantiert nicht eine davon hier rüberwerfen und sich wieder von der Komplettierung entfernen. Er wird eher daran arbeiten, weitere leere Flaschen zu bekommen. Selbst wenn einer doch mal eine werfen wollen würde, würde sie ihm der Nebenmann rechtzeitig abnehmen und sich empören: ›Du bist doch verrückt!‹ Wenn Sie ein Fußballbildchen-Heft mit Duplo-Fußballerbildern haben und sagen wir mal, Manuel Neuer fehlt Ihnen noch, und Sie haben gerade das letzte Paket Fußballbilder-Duplos im Supermarkt ergattert – würden Sie dann die geschlossene Packung verschenken? Nein, Sie würden jedes Duplo alleine öffnen, ganz allein, und alle heimlich aufessen. Oder sie alle auspacken, die Bilder sichern und die Schokolade den Freunden auf einem Silbertablett
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher