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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens
Autoren: Heinrich August Winkler
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Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden vertilgt worden.» Die Wirkung im feindlichen und im neutralen Ausland war verheerend: Die geistige Elite Deutschlands schien sich von eben jener «Kulturwelt» verabschiedet zu haben, an die sie in ihrem patriotischem Manifest appellierte.
    Im September 1914 kam der deutsche Vormarsch in Nordfrankreich zum Stehen. Der tief pessimistisch gestimmte deutsche Generalstabschef Helmuth Graf von Moltke («der Jüngere») gab die Schlacht an der Marne ohne zwingenden Grund verloren, ordnete überstürzt den Rückzug an und wurde am 14. September durch den preußischen Kriegsminister Erich von Falkenhayn abgelöst. Der «Schlieffenplan» – das strategische Kalkül, nach einem Durchbruch in Belgien und Lothringen die französischen Streitkräfte rasch niederzuwerfen, um dann die Hauptmasse der deutschen Armeen in den Kampf gegen Rußland zu schicken – war damit gescheitert. Den Deutschen gelang es nicht, die wichtigsten Häfen am Ärmelkanal, darunter Dünkirchen und Boulogne-sur-Mer, einzunehmen, über die der Nachschub der britischen Expeditionary Force lief. Die Materialschlachten vom Herbst 1914, bei denen mal die eine, mal die andere Seite Erfolge verbuchte, verliefen äußerst verlustreich. Die Westfront zwischen Flandern und dem Oberelsaß erstarrte zum Stellungskrieg.
    Im Osten erreichte Deutschland in den ersten Kriegsmonaten, was ihm im Westen im ganzen Krieg versagt blieb: einen militärischen Triumph über den Gegner. Ende August 1914 schlug die 8. Armee unter dem nominellen Kommando des reaktivierten Infanteriegenerals Paul von Hindenburg und dem tatsächlichen seines Stabschefs GeneralErich Ludendorff, der kurz zuvor Lüttich erobert hatte, bei Ortelsburg die nach Ostpreußen eingedrungene russische Narew-Armee. Benannt wurde die Schlacht freilich aus Gründen der historischen Symbolik nach dem nahe gelegenen kleinen Ort Tannenberg, wo 1410 Polen und Litauer das Heer des Deutschen Ritterordens vernichtet hatten.
    Im September folgte der Sieg über die Njemen-Armee an den masurischen Seen. Die schwerste und endgültige Niederlage der Russen in Ostpreußen war die in der masurischen Winterschlacht vom Februar 1915. Auch an der polnischen Front konnten die dort eingesetzten deutschen und österreichischen Verbände im Herbst 1914 beträchtliche Geländegewinne erzielen. Im Frühjahr 1915 aber scheiterte ein Versuch der österreichisch-ungarischen Truppen, die Russen in den Karpaten zurückzudrängen. Die Donaumonarchie, die bereits 1914 1,2 Millionen Mann verloren hatte, büßte weitere 800.000 Mann ein: ein Schlag, von dem sich der wichtigste Verbündete Deutschlands bis zum Kriegsende nicht mehr erholen sollte.
    Zusammen konnten die beiden Mittelmächte das Zarenreich dennoch weiterhin massiv bedrängen. Zwischen Mai und Oktober 1915 eroberten sie Litauen, Kurland und Russisch-Polen und vertrieben die Russen aus Galizien. Während ihres Rückzugs deportierte die russische Armee im vermeintlichen Interesse ihrer eigenen Sicherheit über 1,6 Millionen Litauer, Letten, Juden und Polen ins russische Hinterland – ein Vorspiel zu dem noch weit grausameren Schicksal, das das Zarenreich im Jahr 1916 turkmenischen und kirgisischen Nomaden bereitete, nachdem diese sich gegen die Einbeziehung der Muslime in die allgemeine Wehrpflicht aufgelehnt hatten: Etwa 500.000 von ihnen wurden ihrer Herden und ihrer sonstigen Habe beraubt und in die Berge oder Wüste vertrieben, wo sie elend umkamen. Seit dem Herbst 1915 entwickelte sich dann auch im Osten ein zäher Stellungskrieg, der im Sommer 1916 durch die «Brussilow-Offensive» der Russen unterbrochen wurde. Die Armee der Donaumonarchie erlitt in der Bukowina eine verheerende Niederlage. Der Frontenverlauf sollte sich von da an bis zur russischen Februarrevolution von 1917 nicht mehr wesentlich verändern.
    Die militärische Lage erlaubte es den beiden Mittelmächten, am 5. November 1916 durch eine gemeinsame Erklärung von Kaiser Wilhelm II. und Kaiser Franz Joseph auf dem Gebiet von Russisch-Polen einen polnischen Staat, das «Königreich Polen», zu proklamieren. Dieeigentliche Exekutive lag aber nicht bei dem neugebildeten polnischen Staatsrat in Warschau, sondern in den Händen des deutschen Generalgouverneurs in Warschau und des österreichischen Generalgouverneurs in Lublin. Von einem «selbständigen» Polen konnte also keine Rede sein, ebensowenig von gesicherten Grenzen. Deutschland behielt
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