Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
Autoren: Janine Kunze
Vom Netzwerk:
Cheeta und Omas Steiff-Tieren und dann brachen wir auf in den Zoo. Diesmal fuhren wir mit der Bahn.
    Unsere erste Station waren wie immer die Giraffen, die ganz nah am Eingang des Zoos ihr Gehege hatten. Oma mochte sie besonders gerne, weil sie so elegant waren und weil sie das Muster ihres Fells so schön fand.
    »Oma, magst du die Giraffen so gerne, weil sie so groß sind und du so klein?«, fragte ich.
    »Du freches Stück! Dir muss man wohl mal die Ohren langziehen!«, rief sie und tat so, als wollte sie einen Angriff auf meine Ohren starten.
    »Schau mal, sogar die ist schon viel größer als du!«, sagte ich, um sie noch ein bisschen zu ärgern, und deutete auf eine ganz junge Baby-Giraffe, die gerade aus dem Giraffenhaus kam.
    »Na guck mal! Das muss Juvi sein, die ist erst vor ein paar Wochen geboren. Das hab ich neulich in der Zeitung gelesen.«
    Juvi war zwar größer als Oma und ich, aber neben ihrer Mutter sah sie trotzdem aus wie ein Winzling. Sie schaffte es gerade, sich bis zu dem Euter der Mutter zu strecken.
    »Kann ich dich mal was fragen, Oma?«
    »Ja, klar, spuck’s aus!«
    Ich gab mir einen Ruck und fragte: »Muss ich irgendwann zu meiner Mutter zurück?«
    Oma wurde plötzlich ganz ernst. Dann schaute sie wieder zu den Giraffen hinüber. Von der Seite sah ich, dass sie das Gesicht verzog, so als würde ihr etwas wehtun.
    »Es macht mich immer unglücklich, wenn ich daran denke, dass deine Mutter dich weggegeben hat«, hatte sie mir mal erklärt. Deshalb sprachen wir nicht so oft darüber. Eigentlich nie. Meine Mutter, die ich manchmal am Wochenende besuchte, war ihre Tochter. Obwohl sie sich wirklich gar nicht ähnlich sahen und auch gar nicht ähnlich waren.
    Oma wusste, dass ich zu Hause glücklich war, und mochte auch Mama sehr gerne. Trotzdem wurde sie immer sehr traurig, wenn wir über meine leibliche Mutter sprachen.
    »Deine Mutter hat viele Entscheidungen getroffen, die ich bis heute überhaupt nicht nachvollziehen kann und die mich sehr traurig machen.« Oma sah immer noch zu den Giraffen rüber und redete sehr leise. »Ich habe deiner Mutter viele Türen aufgemacht und sie hat sie alle einfach wieder zugemacht. Sie hätte all die Fehlentscheidungen, die sie für ihr Leben getroffen hat, nie treffen müssen.«
    Sie klang fast ein bisschen böse, als sie das sagte. Es tat mir leid, dass ich mit dem Thema angefangen hatte. Was meinte Oma damit? Welche Entscheidungen?
    Sie klemmte sich eine ihrer schwarzen Locken hinter das rechte Ohr und sagte: »Nina, man muss Entscheidungen für sich treffen, nicht für die anderen, aber man sollte trotzdem Rücksicht nehmen. Und nur um jemandem wehzutun, sein eigenes Leben kaputtzumachen … das macht keinen Sinn.«
    Ich wollte nicht, dass sie traurig war. Ich nahm ihre Hand. Oma sah mich an. Sie verzog immer noch das Gesicht und ihr Doppelkinn wackelte.
    »Glaub mir, deine Mutter liebt dich, aber ein Kind würde nicht in ihr Leben passen. Ich finde das nicht gut und ich kann es nicht nachvollziehen, aber ich kann es auch nicht ändern. Sie kommt wohl mehr nach deinem Großvater, der ist auch so unstet. Sie ist ihm sehr ähnlich. Mir war die Freiheit nie so wichtig wie ihm und wie ihr. Ich bin so froh, dass du ein schönes Zuhause hast, eine nette Familie und eine Mama, die dich liebt!«
    Oma hatte viel Pech im Leben gehabt, hatte Mama mal gesagt. Ihren Mann, meinen Großvater, hatte ich nur einmal gesehen. Ich hatte ihn zwar kaum kennengelernt, aber ich wusste trotzdem sofort, dass ich ihn überhaupt nicht leiden konnte, egal ob er mein Opa war oder nicht. Er hatte so laut geredet und dauernd so angeberisch getan, als wäre er ein Hollywoodstar. Alles musste sich um ihn drehen, für die anderen hatte er sich gar nicht interessiert. Ich glaube, er hat Oma sehr wehgetan, deshalb hat sie sich damals von ihm getrennt.
    Plötzlich lächelte Oma wieder, drückte meine Hand und sagte: »Nina, du bist mein Sonnenschein. Du bist das Allerbeste in meinem Leben. Du machst mich so glücklich. Wenn ich an dich denke, freue ich mich immer. Lass uns den Nachmittag genießen und nicht über so traurige Dinge sprechen, ja? Mach dir keine Sorgen, niemand wird dich von deiner Mama wegholen, da bin ich mir ganz sicher.«
    Sie strich mir über den Kopf. Ich sah das goldene Armband an ihrem Handgelenk baumeln. Ich hatte sie noch nie ohne dieses Armband gesehen. Es klebte an Oma wie ihr Geruch nach Kaffee und Opium. Es hatte längliche Glieder, die ein bisschen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher