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Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
Autoren: Janine Kunze
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rief: »Janine, mein Sonnenschein! Hallo!«
    Wie immer fand ich sie sehr elegant: Sie trug ein kariertes Jackett, eine weiße Bluse mit einem großen Kragen, einen beigefarbenen Rock mit kleinem Schlitz, Schuhe mit goldener Schnalle und einem kleinen Absatz. Ihre Handtasche passte perfekt zu den Schuhen. Am Handgelenk trug sie ihr goldenes Armband mit den grünen Steinen.
    Ich lief auf sie zu und wir umarmten uns. Sie fühlte sich an wie ein Kissen, denn Oma war ein bisschen pummelig. Und nicht besonders groß. Sie war die kleinste Erwachsene, die ich kannte, und nur noch fünfzehn Zentimeter größer als ich. Das hatten wir das letzte Mal ausgemessen. »Bald hast du mich eingeholt! Wenn du mich überholt hast, musst du mir sagen, wie die Luft da oben ist«, hatte sie gesagt. Oma redete immer viel Quatsch und ich musste oft über sie lachen.
    Meine Nase landete an ihrem Hals. Ich hatte sie mal gefragt, warum sie so besonders roch. Sie hatte mir erklärt, das wäre ihr Parfüm. Auf ihrer Kommode stand immer eine Flasche davon. Eigentlich hieß es nicht Flasche, sondern »Flakooo«, hatte Oma mich verbessert.
    » O-P-I-U-M-D-I-O-R «, hatte ich gelesen. »Was soll das denn heißen?«
    »Das ist der Name von dem Parfüm. Es kommt aus Frankreich. Es heißt ›Opium‹ und die Firma, die es herstellt, heißt ›Dior‹.«
    Zu dem Duft des Parfüms mischte sich noch der Geruch von frischem Kaffee. In ihrer Wohnung roch es immer danach. Aber sie konnte den Geruch auch mit nach draußen nehmen. Sie roch super und ihr ganzes Gesicht war voller Sommersprossen.
    »Ach Janine, wenn ich dich sehe, geht die Sonne auf. Los, komm, der Bus fährt gleich!«, sagte sie lachend. Sie winkte Mama zu, die uns von der Tür aus lächelnd beobachtete, und zog mich in Richtung Bushaltestelle.
    »Wenn ich sie wiederbringe, habe ich mehr Zeit, aber jetzt müssen wir schnell machen, damit wir den Bus noch kriegen«, rief sie Mama zu.
    »Schon gut, bis heute Abend!«, sagte Mama, winkte noch mal und schloss die Tür.
    »Hast du Lust auf Kotelett? Ich hab dir Kotelett mit Rahmerbsen und -möhrchen und Kartoffeln gemacht«, quatschte Oma fröhlich weiter, als wir im Bus saßen. Wie immer durfte ich am Fenster sitzen.
    »Mhm, ja, lecker!«, sagte ich und nickte. Das war ein bisschen gelogen. Ehrlich gesagt, Kotelett war okay, aber so richtig gut schmeckte es mir nicht, selbst wenn Oma es kochte.
    Oma grinste mich an und sagte: »Es ist schön, dass du so höflich bist. Höflichkeit schmückt, das weißt du ja. Trotzdem – gib dir keine Mühe, ich weiß schon, dass du lieber Nudeln essen würdest, aber immer nur Nudeln, das ist doch nichts. So ein schönes Kotelett ist gut für die Knochen!« Sie tätschelte mein Bein.
    Oma konnte man einfach nichts vorlügen! Aber das Gute war: Man musste ihr auch nichts vorlügen. Weil sie nie sauer war und mich immer verstand.
    »Und danach gibt’s noch einen Mohrenkopf, der ist auch sehr gut für die Knochen, glaube ich.«
    »Echt?«, fragte ich und grinste.
    »Ganz bestimmt!«
    Ihre Straße hieß »Gottesweg«. Sie schloss die Wohnung auf und wir betraten den großen, runden Flur, von dem die anderen Zimmer abgingen. Die Decke war viel weiter oben als zu Hause und an den Wänden waren gelbe Tapeten mit einem feinen Blümchenmuster. Die Türen waren weiß und hatten alte goldene Griffe. Auf einem kleinen Tischchen stand eine Lampe mit einem verschnörkelten Fuß und kleinen Troddeln am Schirm.
    Sie zog ihr Jackett aus und hängte es an die Garderobe. Ihre Schuhe zog sie auch zu Hause nie aus.
    Wir setzten uns an den großen Esstisch aus dunklem Holz im Wohnzimmer und aßen zu Mittag. Zum Nachtisch gab es den Mohrenkopf und als ich behauptete, dass sich meine Knochen immer noch ganz labberig anfühlten, bekam ich noch einen. Wie immer lachten wir die ganze Zeit. Mit Oma konnte man einfach am besten Quatsch machen!
    Trotzdem war es heute nicht ganz so wie sonst. Der Traum von gestern Nacht und das Gespräch mit Mama spukten immer noch in meinem Kopf herum und ich konnte nicht aufhören, daran zu denken, auch wenn ich mich noch so anstrengte und noch so viel Quatsch mit Oma machte. Mama sagte immer, dass es toll war, dass ich zwei Mütter und zwei Omas hatte. Das war etwas Besonderes und mehr, als die meisten anderen Kinder hatten. Ich fand es super, etwas Besonderes zu sein, aber manchmal wünschte ich mir auch, ich wäre genauso wie alle anderen.
    Nach dem Essen spielten wir noch ein bisschen mit meinem Äffchen
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