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Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
Autoren: Janine Kunze
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für das wir dringend eine Familie suchen. Die Mutter will es aber nicht zur Adoption freigeben, sondern nur auf unbestimmte Zeit in eine Pflegefamilie.‹ Wir hatten vorher ja schon manchmal Pflegekinder auf Zeit gehabt.« Mama sah mich nicht an, als sie das erzählte.
    »Warum sind die denn nicht auch für immer bei euch geblieben?«, fragte ich, um ihre Gedanken zu unterbrechen. Dass es vor mir schon andere Pflegekinder bei Mama und Papa gegeben hatte, war irgendwie komisch.
    »Wir haben nur in Notfällen ausgeholfen«, sagte sie und sah mich wieder an, »wenn die Mutter auf Kur war oder im Krankenhaus und sie nicht wusste, wo das Kind in dieser Zeit bleiben sollte.«
    »Die Kinder mussten dann wieder zurück zu ihrer anderen Mutter?«
    »Ja, so war das ja von Anfang an abgemacht.«
    Mir kam plötzlich ein schrecklicher Verdacht. Obwohl ich mich fast so sehr vor der Antwort fürchtete wie vor dem bösen Traum, fragte ich: »Und was habt ihr für mich abgemacht?«
    Meine Mama antwortete lange nichts. Dann erzählte sie einfach weiter: »Als wir dich bei der anderen Familie besucht haben, war ich sehr traurig. Im Flur habe ich angefangen zu weinen und zu Papa gesagt: ›Wir können sie doch nicht hierlassen, wir müssen sie doch mitnehmen!‹ Aber das ging natürlich nicht so schnell. Deine Mutter wollte sich noch von dir verabschieden. Trotzdem war ich mir in dem Moment ganz sicher, dass du zu uns gehörst und wir dich zu uns nehmen werden. Abends haben wir lange darüber diskutiert. Auch mit Oma Anna.«
    »Warum habt ihr denn so lange diskutiert? Wenn ihr mich doch eigentlich gleich mitnehmen wolltet?« Hatte ich irgendetwas verpasst? Oder nicht verstanden?
    Meine Mama sah mich lange schweigend an. Wieder war da diese Falte zwischen ihren Augenbrauen.
    »Das erzähl ich dir, wenn du größer bist, mein Schatz. Schlaf jetzt wieder. Ich bleibe noch hier sitzen, bis du eingeschlafen bist, dann kommt der böse Traum nicht wieder, ja?«
    Ich legte mich wieder unter die Decke, nahm Cheeta, das kleine Steiff-Äffchen, das mir meine Oma geschenkt hatte, in den Arm und machte die Augen zu. Plötzlich kam mir ein Gedanke und ich setzte mich wieder auf:
    »Mama, musste meine Mutter eigentlich auch ins Krankenhaus? Oder auf Kur?«
    Sie streichelte mir über den Kopf und sagte nur: »Schlaf jetzt, Mäuschen, morgen willst du doch mit Oma in den Zoo gehen. Da kriegst du ja kein Auge auf, wenn wir heute die ganze Nacht verquatschen. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Mama.«

Oma
    Die Liebe allein versteht das Geheimnis,
andere zu beschenken und dabei selbst reich zu werden.
    CLEMENS BRENTANO
    Mickymaus reckte beide Arme nach oben. Die Hände mit den weißen Handschuhen zeigten auf die Zehn und auf die Zwölf. Mama und Papa hatten mir die Armbanduhr zusammen mit dem dunkelblauen T- Shirt mit der gelben Blume vor eineinhalb Wochen zu meinem neunten Geburtstag geschenkt. Die Uhr konnte ich natürlich schon längst lesen. Kerstin hatte es mir gezeigt, als ich in die Schule gekommen war. Zum Glück ging es mir heute wieder gut. Ich war gestern Nacht schnell wieder eingeschlafen und hatte heute Morgen bis acht Uhr geschlafen. Richtig lange. Den ganzen Vormittag hatte ich mit Mama und Stefan Ostereier bemalt. Am Wochenende war Ostern und Mama wollte heute das Haus dekorieren. Aber schon seit zehn Minuten rührte ich nur noch mit dem Pinsel in den Farben rum und wartete, bis es endlich zwölf war.
    Fünf Minuten vor zwölf. Ich konnte es kaum erwarten. Oma wollte mich abholen, das hatten wir Anfang der Woche am Telefon so verabredet. Und sie war immer ganz genau pünktlich. Wir wollten zusammen mit dem Bus zu ihrer Wohnung fahren und nach dem Mittagessen in den Zoo gehen. Ich wusste gar nicht, worauf ich mich am meisten freute: auf das gemeinsame Essen mit Oma, auf ihre Steifftiersammlung, auf den Zoo oder auf das Busfahren. Ich liebte Busfahren! Ich liebte den Zoo! Ich liebte Oma!
    Endlich klingelte es. Ich ließ den Pinsel fallen und rief »Tschüss Mama, Oma ist da!«, rannte in den Flur, schlüpfte in meine Schuhe, schnappte mir meine Jacke von der Garderobe und riss die Haustür auf.
    »Oma!«, rief ich. Sie stand noch am Gartentürchen und bückte sich gerade, um die Klinke runterzudrücken.
    Oma strahlte über das ganze Gesicht und in den dunklen Locken, die ihr Gesicht umrahmten, blitzten ihre großen, runden, goldenen Ohrringe. Sie hießen »Creolen«, hatte sie mir erklärt. Sie ging durch das Türchen, breitete die Arme aus und
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