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Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
Autoren: Janine Kunze
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rief Tobias plötzlich und starrte mit offenem Mund die Straße hinunter. Die anderen Kinder folgten seinem Blick. Langsam näherte sich ein goldbrauner Porsche. Cabrio. Mit offenem Dach, obwohl es doch noch gar nicht Sommer war. Er passte in diese Siedlung wie ein Pfau in einen Ententeich, dachte ich und wandte mich ab. Wie aus einer anderen Welt.
    »Getroffen! Getroffen!« Markus jubelte, als der Softball mich am Rücken traf. Aber keiner beachtete ihn. Ich drehte mich um und streckte ihm die Zunge raus. »Blödmann!«, sagte ich.
    Alle anderen Kinder beobachteten den Porsche. Er hielt direkt neben unserem Spielfeld. Der Fahrer hatte den Ellenbogen auf den Türrahmen gelehnt. Er hatte braunes Haar, das hinten im Nacken etwas länger war, und trug einen Schnauzbart. Außerdem eine Sonnenbrille mit großen, tropfenförmigen Gläsern, die oben etwas dunkler getönt waren als unten. Neben ihm saß eine wunderschöne blonde Frau. Sie stieg aus dem Wagen. Ihre endlos langen Beine steckten in hochhackigen, spitzen Schuhen und schwarzen Strumpfhosen. Sie trug einen türkisfarbenen Minirock, eine enge Bluse und riesige pinkfarbene Plastikohrringe. Sie sah umwerfend aus.
    »Deine Mutter sieht toll aus!«, sagte Claudi.
    »Jaaa, na ja, geht so«, murmelte ich. »Können wir jetzt weiterspielen?«
    Keiner antwortete. Einerseits fand ich es cool, dass meine Freunde meine Mutter so super fanden. Sie war ganz anders als alle unsere anderen Mütter. Ganz anders als Mama. Andererseits konnten wir jetzt nicht mehr weiterspielen. Ich zumindest nicht. Das ärgerte mich. Ich musste aufhören, das zu tun, was mir Spaß machte. Wozu ich richtig Lust hatte. Was ich am liebsten tat. Um das zu tun, was sie gerne tat. Denn es war mal wieder so weit: Irgendjemand hatte bestimmt, dass ich dieses Wochenende bei meiner Mutter verbringen würde. Letzten Sonntag hatte ich Geburtstag gehabt und war neun Jahre alt geworden. Am Montag hatte mich meine Mutter abgeholt und wir waren zusammen mit ihren beiden Cousinen italienisch Essen gegangen.
    Sie hatte mir das Barbie-Pferd geschenkt, das ich mir gewünscht hatte. Und dazu eine Crystal Barbie, die hatte ein weißes, glitzerndes langes Kleid an, Diamantenohrringe und einen Tüllumhang. Und eine Skipper, Barbies jüngere Schwester. Danach hatte sie keine Zeit mehr gehabt, deshalb hatte sie mich wieder nach Hause gefahren. Obwohl ja eigentlich gerade Osterferien waren und ich auch bei ihr hätte schlafen können, weil am nächsten Tag keine Schule war. Das ging aber nicht, deshalb holte sie mich heute am Freitag noch einmal ab.
    »Janine, Schätzchen, komm, trödel nicht! Sag schnell Tschüss zu deiner Mama und dann lass uns fahren. Wir müssen um sechs zu Hause sein, später kommen meine Freundinnen zu Besuch. Ach ja, das hier ist übrigens Ralf.« Sie deutete auf den Fahrer des Porsche. Ich lief schnell nach Hause und sagte Mama Bescheid, dass sie da war.
    »Vergiss deine Jacke nicht, Maus. Es soll kalt werden morgen.« Mama drückte mich ganz fest und gab mir einen Kuss.
    »Ich hab dich lieb«, sagte sie leise an meinem Ohr.
    In der Zwischenzeit hatten sich alle Kinder um das Auto geschart. Die Jungs starrten wie gebannt auf den Sportwagen. Die Mädchen auf den Minirock meiner Mutter. Sie lächelte wie in einem Modekatalog. Und auch ich musste jetzt lächeln. Meine Mutter war cool. Voll cool.
    Papa kam gerade zurück vom Joggen. Ich sah ihn eine Seitenstraße vor unserer noch einmal abbiegen. Er hatte wohl keine Lust, meine Mutter zu treffen, und lief noch eine Runde länger.
    Der Porsche beamte uns von Köln-Frechen in eine andere Welt. Ralf hatte auf der Fahrt fast nichts gesagt und sich vor dem Haus schon wieder von uns verabschiedet. Ich wusste nicht, ob ich ihn überhaupt noch einmal zu Gesicht kriegen würde.
    Bei meiner Mutter war alles anders als zu Hause: bunter und glänzender als bei uns. Ihre Wasserhähne waren golden und verschnörkelt. Die Hebel, an denen man drehen musste, damit Wasser herauskam, hatten die Form von kleinen Flügeln. Ich mochte es, mit den Fingern an den Schnörkeln entlangzufahren. Ihre Wohnung war kleiner als unser Haus, aber sie hatte einen sehr großen Kleiderschrank und war die einzige Frau, die ich kannte, die immer Stöckelschuhe trug. Niemand in unserer Siedlung trug Stöckelschuhe. Nicht einmal zu Weihnachten.
    In ihrer Wohnung gab es einen großen Raum, der Wohn- und Esszimmer zusammen war. An der Seite, wo es zur Küche ging, stand ein runder Esstisch aus
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