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Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Titel: Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Autoren: Rudolf Nährig
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auch dann gegeben, wenn er als »schwierig« galt. An einen Parvenü erinnere ich mich im Besonderen. Dieser Mann hatte sich dank seinem schnell erworbenen Reichtum nicht nur alle sichtbaren Merkmale des Wohlstands wie schnelle Autos, Luxusvilla, neueste modische Kleidung et cetera anschaffen können, er hatte sich auch noch viele Titel wie Professor, Doktor, Kommerzialrat, Hofrat, Senator, Generalkonsul und so weiter erkauft. Als Patron Fodermayer all dies zu Ohren kam, meinte er lakonisch: »Wenn der jetzt die Matura [das Abitur] auch noch schafft, dann ist er komplett.«
    In den »Drei Husaren« war ich viele Jahre, bestimmt an die zehn. Anschließend ging ich ein wenig nach Paris und nach Norwegen, um mich sprachlich etwas beweglicher zu machen. Auch in Lübeck war ich einige Zeit. Doch dann, wir schrieben das Jahr 1976, lockte mich schon das wunderschöne Vier Jahreszeiten in Hamburg. Und dort habe ich sozusagen »politische Kultur« angenommen: Ich blieb außerordentlich hartnäckig auf meinem Posten kleben – »picken« sagen wir in Wien.
    Nach kurzer Zeit der Kellnertätigkeit wusste ich: Das ist der Arbeitsplatz, den ich mir stets gewünscht, erträumt, erhofft hatte. Umgekehrt war ich mir bald auch im Klaren, dass es mit meiner Freizeit nun weitestgehend vorbei war. Man kann als Kellner ein sogenanntes »normales Leben«, wo man sich am Abend oder am Wochenende mit Freunden trifft und gemeinsame Unternehmungen macht, nicht mehr führen. Längere Dienstzeiten als in jedem anderen Beruf, meist gerade zu Zeiten, wenn andere ihren Feierabend genießen, sind eine branchentypische Notwendigkeit. Auch mit vielen anderen Aktivitäten musste jetzt Schluss sein. Glücklicherweise liegt der Nationalsport Fußball meinen sportlichen Interessen fern, in diesem Punkt gab es also keine Beeinträchtigungen.
    Bald aber stellte ich fest, dass es mich gar nicht mehr störte, auf vieles verzichten zu müssen. Das übliche freie Wochenende fehlte nicht mehr. Ich will sogar behaupten, dass es viel angenehmer ist, stattdessen unter der Woche ein oder zwei freie Tage zu haben. Einen Einkauf am Mittwoch zu tätigen ist viel schöner, praktischer und ruhiger als am Samstag in überfüllten Kaufhäusern am Grabbeltisch. Zugegeben, bisweilen fand ich es schon schade, diese oder jene Musik- oder Theaterveranstaltung nicht erleben zu können, aber auch das hat sich eingependelt. Und im Hotel Vier Jahreszeiten hatte ich die Möglichkeit, all das zu machen, wofür ich meinen Beruf, meinen Traumberuf, ausgewählt habe, und dem Gast in allen nur möglichen Formen zu dienen.
Die fatale Suppe
    Manchmal, besonders in meinen Anfangsjahren, ging es mit dem Dienen mitunter allerdings auch »in die Hose« – beziehungsweise in andere Kleidungsstücke. Wenn so der Dienst zum Bärendienst wird, kann das einem Kellner im unglücklichen Fall schon mal die Anstellung kosten, vor allem wenn das Unglück noch in seine Probezeit fällt.
    Es war Mitte September 1976. Mein erster Arbeitstag im Jahreszeiten-Grill. Das Restaurant vollkommen ausgebucht. Ein Tisch mit etwa fünfzehn Personen ganz speziell mir zugeteilt. Der Oberkellner, der bereits erwähnte Herr Kröger, wies mich an, alle aufgetragenen Arbeiten mit größter Sorgfalt zu handhaben, denn es handelte sich um eine alteingesessene Hamburger Kaufmannsfamilie. Das Handelshaus Nordmann, Rassmann & Co. ist in der Hansestadt ein Name mit bestem Klang. Der Begriff »ehrbarer Kaufmann« hat in diesem Fall absolute Gültigkeit. Dass Herrn Krögers Ermahnung zur größtmöglichen Sorgfalt nicht gerade beruhigend auf mich wirkte, kann man sich denken. Im Gegenteil, mein Gemütszustand steigerte sich vielmehr von Aufregung zu einer fast schon an Panik grenzenden Nervosität. Sofern der Auslöser ein anderer ist, kann eine ähnliche Nervosität auch sehr angenehm sein. In diesem Fall war sie entschieden unangenehm.
    Die Vorspeise war serviert, alles gut und fein, wunderbar, kein Grund zur Beanstandung. Als Nächstes kam die Suppe, heiß und dampfend, in Tassen serviert. Ich nahm, wie gelernt, drei Tassen in die Hand und servierte als Erstes der Frau des Hauses, Inge Nordmann. Gastgeber war, meine ich, der erstgeborene Sohn von Georg Nordmann, Edgar, der jetzige Konsul Nordmann. Es kam, wie es kommen musste. Die Hand zitterte, die Tasse wackelte und ich goss der Dame die Suppe in den Rücken. Nicht zwei, drei Tropfen. Nein, gleich die halbe Tasse. Wenn schon, denn schon.
    Die Gespräche am Tisch verstummen.
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