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German Angst

German Angst

Titel: German Angst
Autoren: Friedrich Ani
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wirklich nicht.
    Eigentlich hatte sie vorgehabt ihn zu bitten, herzukommen und eine halbe Stunde bei ihr zu bleiben, sie in den Arm zu nehmen und ihr zuzuhören. Von diesem Mann, Josef Rossi – jetzt fiel ihr auch der Vorname wieder ein –, von seiner Art, die ihr unheimlich war, hätte sie gern gesprochen und Chris gefragt, was er davon hielt. Vermutlich hätte er sie in seiner grenzenlosen Sanftmut in wenigen Minuten vollkommen beschwichtigt. Aller Schrecken wäre von ihr abgefallen und sie hätte eingesehen, wie verrückt sie reagiert und wie lächerlich sie sich verhalten hatte.
    Stattdessen hatte sie ihn beschimpft und ihm Vorhaltungen gemacht.
    Verzeih mir, sagte sie zum Telefon, das sie noch immer in der Hand hielt.
    Und dennoch…
    Sie wählte von neuem. »Ich hätte gern Frau Ries gesprochen.«
    »Einen Moment.«
    Sie ging in die Küche, den Hörer zwischen Schulter und Kinn geklemmt, und goss sich ein Glas ungesüßten Traubensaft ein.
    »Helga? Ich bins, Netty.«
    »Hallo! Ich hab grad keine Zeit. Kann ich dich in zehn Minuten zurückrufen?«
    »Nein«, sagte Natalia. Zurück im Behandlungsraum, öffnete sie das Fenster und betrachtete die nach hinten geklappte weiße Liege. »Du hast mir einen Kunden vermittelt, einen Mann namens Rossi, kennst du den?«
    »Was? Wer? Rossi? Ja, er hat ein Konto bei uns, warum? Hör mal, Netty…«
    »Was ist das für ein Kerl? Was macht der?«
    »Er ist Verkäufer, er verkauft…«
    »Das weiß ich, was macht er sonst? Wieso hast du den zu mir geschickt?«
    »Was ist denn los mit dir? Ist er dir an die Wäsche oder was? Wir waren ein paar Mal was trinken, er ist in Ordnung, er redet ein bisschen viel, ja, meistens von seiner Arbeit, aber das tun wir ja alle, oder? Ich hab es gut gemeint, Netty, du hast mir gesagt, zur Zeit läufts nicht so gut in deinem Geschäft…«
    »Ich will nicht, dass er wiederkommt.«
    »Einen Moment…«
    Mit zwei Kleenextüchern wischte Natalia die Liege ab, richtete sie auf und verließ das Zimmer.
    »Netty? Meine Kunden werden ungeduldig. Tut mir Leid, wenn er dir nicht gefallen hat, ich mag ihn, er ist höflich und er kann Komplimente machen…«
    »Ich hatte den Eindruck, er will sich gar nicht behandeln lassen…«
    »Was denn sonst?«
    »Das wollte ich dich fragen.«
    »Ich kenn ihn doch nicht näher. Wir waren was trinken, er hat mich eingeladen. Er kennt übrigens Chris, er hat mir gesagt, er hat sein Bild in der Zeitung gesehen, in einem Artikel über Lucy, du weißt schon…«
    »Hast du ihm erzählt, dass ich die Freundin von Chris bin und dass wir vielleicht heiraten wollen? Dass wir so gut wie verlobt sind? Das hat er nämlich behauptet, dass du gesagt hast, wir sind so gut wie verlobt.«
    »Ich? Ja. Kann sein. Ist doch auch wahr. Du hast mir gesagt, Chris will dich heiraten, er traut sich bloß nicht, hast du gesagt, wörtlich. Oder habt ihr euch etwa getrennt?«
    »Wieso sprichst du mit fremden Leuten über so private Dinge?«
    »Er hat davon angefangen…«
    »Womit hat er angefangen?«
    »Mit dieser Geschichte aus der Zeitung, mit diesen Artikeln über Lucy, diesen ganzen Kram, dass sie dauernd was anstellt und so weiter und dass sie immer ausbuchst und klaut und so weiter… Er hat irgendwas dazu gesagt, keine Ahnung, was, ich habs vergessen. Und er hat sich an das Foto von Chris erinnert, er hat gesagt, dass er als Vater wahrscheinlich überfordert ist und dass man sich da was überlegen muss…«
    »Was überlegen? Wer soll sich da was überlegen?« Natalias Stimme wurde laut und hart.
    »Schrei mich nicht an! Ich muss jetzt weitermachen. Wir sehen uns, ruf mich noch mal an in dieser Woche…«
    Natalia steckte das Telefon in die Box zurück und ließ sich auf die Couch fallen. Was ist los mit dir? Chris hatte sie das gefragt und Helga auch. Was los war? Wie sollte sie das erklären? Es war Montag, ein ganz normaler Montag. Nach einem ganz normalen Wochenende. Abgesehen davon, dass Chris am Samstag bis nachts um elf in seinem Büro gesessen und Kostenvoranschläge ausgetüftelt hatte und am Sonntagmorgen in Neuperlach eine Toilettenspülung reparieren und danach einige Dinge mit seinem Kompagnon Kriegel klären musste, der wieder einmal falsch abgerechnet hatte. Also war aus einem gemütlichen Frühstück nichts geworden. Aber das war ganz normal. Nichts Besonderes war geschehen. Lucy hatte nichts von sich hören lassen, das war alles. Was also war los mit ihr? Hatte dieser Rossi sie tatsächlich so aus dem Gleichgewicht
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