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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer
Autoren: Serena und das Ungeheuer
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lächelnd
gebogenen Lidern strahlten – und seine Besitzerin für kaltherzig halten. Ja,
es war sogar das letzte Attribut, das jemand einem so vitalen, leidenschaftlichen
Geschöpf wie Serena hätte zuschreiben können, dachte Fanny. Sie war halsstarrig
und eigensinnig, manchmal schrecklich burschikos, ebenso exzentrisch wie ihr
Vater, leicht aufbrausend, impulsiv, unbeherrscht, und kümmerte sich nicht um
den äußeren Schein; aber trotz all dieser und noch vieler anderer Fehler besaß
sie einen solchen Reichtum an Güte und Großmut und eine solche Ritterlichkeit,
daß sie von den Angestellten ihres Vaters vergöttert wurde.
    «Du bringst mich ja ganz aus der
Fassung! Warum starrst du mich so an?»
    Der Klang der tiefen, melodiösen
Stimme rief Fanny in die Gegenwart zurück; sie schrak leicht zusammen, wurde
rot und sagte: «Als könnte dich je etwas aus der Fassung bringen! Verzeih – ich
war geistesabwesend! O Serena, wie unendlich lieb du immer zu mir bist!»
    «Heiliger Himmel!» Serena zog die
Augenbrauen hoch – die sie ohne Gewissensbisse färbte –, und die Augen, die
mehr grün als braun glitzerten, waren voll sanften Spotts. «Mein armes Liebes!
Dieses trübe Ereignis hat dir geradezu krankhafte Gedanken in den Kopf gesetzt!
Oder ist vielleicht mein Vetter Hartley daran schuld? Wenn das der Fall ist,
kann ich es dir wahrhaftig nicht übelnehmen!»
    Von ihrem ursprünglichen
Gedankengang abgelenkt, rief die junge Witwe unwillkürlich aus: «Wie sehr mußt
du es mir übelnehmen, daß ich alle deine Hoffnungen enttäuscht habe, ihn von
der Erbfolge ausgeschlossen zu sehen!»
    «Blödsinn! Solche Hoffnungen hatte
ich nie! Nein, wirklich! Ich stehe sogar tief in deiner Schuld dafür, daß du
mir keinen Stiefbruder gegeben hast, der jung genug gewesen wäre, mein Sohn zu
sein. Wie lächerlich ich gewirkt hätte! Nicht auszudenken!»
    «Du bist zu großmütig!» sagte Fanny
in ihr schwarzumrandetes Taschentuch hinein. «Und erst dein Papa ...! Nie ein
Wort des Vorwurfs für mich, aber ich weiß, wie ihm der Gedanke zuwider war,
daß Hartley sein Nachfolger werden würde!»
    «Liebe Fanny, ich bitte dich, weine
nicht! Gleich werden wir meine Onkel und deinen Vater und Mr. Perrott am Hals
haben, von Hartley nicht zu reden! Es stimmt, gewünscht hätte man es sich ja
nicht, daß gerade er in Papas Fußstapfen tritt, aber schließlich ist das wirklich
nicht so wichtig! Wenn dir etwas Nachteiliges von ihm bekannt ist, dann weißt
du mehr als ich.»
    «Dein Papa sagte, er hätte ihn sogar
besser leiden können, wenn er etwas Nachteiliges von ihm gewußt hätte», sagte
Fanny schmerzlich.
    Darüber mußte Serena lachen, sagte
aber: «Sehr wahr! Er ist tugendhaft und stinklangweilig! Ich bin überzeugt, er
ist der erste Carlow, der so ist. Aber das war ja meinem Vater seit zwölf
Jahren bekannt, und wenn es ihm ernstlich nahegegangen wäre, hätte er ja wieder
heiraten können, lange bevor du aus der Schule kamst. Wenn du annimmst, daß er
dich nur um eines Erben willen geheiratet hat, zeigt das, daß du ein großer
Einfaltspinsel bist. Himmel, machen sie denn ewig nicht Schluß mit diesem
Gelage? Es ist eine volle Stunde vergangen, seit die Wagen zurückgekehrt
sind!»
    «Serena! Doch nicht Gelage!»
protestierte Fanny. «Wie kannst du nur so etwas sagen?»
    «Ein Festmahl über den sterblichen
Resten eines Verstorbenen zu halten ist eine Sitte, die jeden halbwegs
empfindsamen Menschen nur anwidern muß!»
    «Aber es ist doch nur ein kalter
Imbiß!» sagte Fanny ärgerlich.
    Die Tür am Ende des Zimmers öffnete
sich sachte, und der Butler meldete, daß die Trauergäste aufbrachen, die
Kutschen herbeigerufen wurden und Mr. Perrott, der Rechtsanwalt des
Verstorbenen, ihn gebeten habe, Mylady seine Empfehlungen zu überbringen und
zu fragen, ob es ihr genehm sei, ihn jetzt zu empfangen. Dann wandte er sich
an Serena und erzählte unaufgefordert, das Begräbnis sei so gut besucht
gewesen, daß einige der einfacheren Trauergäste sich unmöglich einen Weg in
die Kirche erzwingen konnten, ein Umstand, der ihn sehr zu trösten schien. Als
ihm Fanny versichert hatte, sie sei bereit, Mr. Perrott zu empfangen, zog er
sich zurück.
    Die Zeit schleppte sich dahin. Fanny
sagte zaghaft: «Ich weiß nicht, warum einen das eigentlich so aufregt.
Natürlich muß das Testament verlesen werden, aber ich wollte, es wäre schon
vorüber!»
    «Ich jedenfalls halte das für ein
völlig überflüssiges Getue!» sagte Serena. «So ein
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