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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle
Autoren: Ronald M. Hahn
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Twickenham zu reisen, war ganz schön anstrengend – selbst für einen hochbezahlten und entsprechend motivierten Management-Profi wie mich.
    „Du gehst mir auf den Geist, du blöder Schwätzer!“
    Die Stimme war rauh und unkontrolliert. Ein Klirren folgte, ein gurgelnder Schrei.
    Ich traute meinen Augen kaum. Einer der Gentlemen hatte seinem Gegenüber den Bierkrug über den Mund gedroschen. Blut quoll über die Lippen des Verletzten, einige Zähne kullerten hinterher. Mit einem Blick, der tiefsten Schock ausdrückte, sank er in die Knie und kauerte sich zusammen.
    Der Angreifer schaute fassungslos auf den zerbrochenen Krug in seiner Hand, auf seine rot verschmierten Finger.
    „Ich, ich …“ stammelte er.
    Er sah aus wie damals der Bankbeamte, als dieses achtarmige lila Monster an seinen Schalter kam und ein Gehaltskonto eröffnen wollte, spotz, blubber.
    Ich spürte, wie ein hysterisches Lachen in mir herumvagabundierte. Dabei hätte ich entsetzt sein sollen. Es war der schlimmste Gewaltausbruch, den ich je in einer Ferienzone erlebt hatte, für die ich verantwortlich war.
    Unfähig einzugreifen, kicherte ich vor mich hin und verfluchte die Idioten in der Zentrale, die wieder zu leichtsinnig an ihrer chemischen Orgel herumgespielt hatten. Sie hatten ihre Beeinflussungsdrogen einfach nicht im Griff. Wahrscheinlich hatten sie nach den Vorfällen heute morgen die Euphorizer zu sehr zurückgenommen und zu viele Downer rausgeblasen.
    Zum Glück hatte sich der Constable besser unter Kontrolle. Er nahm dem Schläger den Krug aus der Hand und sagte: „Ihr Scherz ist Ihnen eine Spur zu heftig geraten, Sir. Es war doch ein Scherz, nicht wahr?“
    „Natürlich.“ Er nickte. „Natürlich. Ein Scherz. Ja.“
    „Sie sollten künftig etwas rücksichtsvoller sein. Wir weisen unsere Gäste ungern aus.“
    Der Mann zuckte zusammen. Ihm drohte die Vertreibung aus dem Ferienparadies.
    „Und wir gehen jetzt zum Doktor“, sagte der Polizist zu dem Verletzten. „Morgen sieht man nichts mehr davon. Und Sie erhalten bestimmt einige Gratis-Erlebniseinheiten als Ausgleich für den Schreck.“
    „Machen Sie ruhig weiter“, wandte er sich an die anderen. „Es ist ja nichts geschehen. Ein unbedeutender Zwischenfall. Ein Versehen.“
    Ich sah ihm bewundernd nach. Er hatte den Konflikt vorbildlich gelöst. Da sah man doch, daß unsere sechsmonatige kontaktpsychologische Schulung Früchte trug!
    Aber trotzdem … Daß es überhaupt zu einem solchen Zwischenfall kommen konnte, war schon bedenklich. Bisher war unsere Urlaubsmaschinerie wie geschmiert gelaufen. Sonne, Spaß und heitere Menschen. MEHR ERLEBEN! MEHR KONSUMIEREN! DABEISEIN! Yeah! Alle waren happy gewesen. Und nun so was …
    Zwei bemerkenswert wohlgeformte Oberschenkel unter einem bemerkenswert kurzen Röckchen brachten mich wieder auf angenehmere Gedanken. Ein rotblondes Geschöpf im weißen Tennisdress ging, einen Badmintonschläger schwenkend, die Straße hinunter. Es war eines von diesen süßen englischen Unschuldslämmern, die einem, wie Hitchcock einmal sagte, im Taxi plötzlich in den Hosenschlitz greifen.
    Aber die Art, wie ihr die Männer nachsahen, gefiel mir nicht. Sie schauten etwas zu gierig. Es lag was in der Luft.
    Da war ein Vulkan leise am Grummeln. Hoffentlich ging er nicht hoch. Es wäre schade um unser Konzept gewesen. Und um unsere Jobs.
    Ich fuhr an der Töpferei vorbei, an Grandma Thatchers Olde Curiosity Shop, am Tabakladen, an Derek ’s Snuff Shop, an Graeme Reel’s Singing Pup, und es war alles so normal, daß ich meine Skepsis langsam wieder verlor. Die Türglocken klingelten, die öffentlichen Computer-Terminals arbeiteten einwandfrei, die Leute plauschten über das Wetter. Alles bestens.
    Beruhigt schwang ich mich von meinem Motorrad und ging ins Pfarrhaus. Ich mußte die Haunted House Party vorbereiten.
    Dieser Spukabend war eine der Hauptattraktionen jedes Urlaubsaufenthalts in Twickenham. Kein Wunder, denn da wurde wirklich eine Menge geboten: spiritistische Sitzung mit Tischrücken, der übliche Hokuspokus mit knarrenden Türen und flüsternden Stimmen und am Schluß der Geist himself: HUAAAAAHHHH! Sehr eindrucksvoll. Und vor allem live. Richtiger Horror zum Anfassen – dagegen waren die härtesten Kinoschocker nur müde Abziehbilder. Bei Haunted House konnte man sich so richtig schön gruseln, und man wußte doch, daß einem nichts passierte.
    Es war offensichtlich eine echte Marktlücke, denn die Nachfrage war gewaltig. Unser Preis
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