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Geloescht

Geloescht

Titel: Geloescht
Autoren: Teri Terry
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sind grau, rätselhaft und zurückhaltend. Mums Augen haben kleine Flecken auf hellem Braun – es sind ungeduldige Augen, die mich an die von Dr. Lysander erinnern. Augen, denen nichts entgeht. Und meine Schwester ist auch da: große, dunkle, fast schwarze Augen sehen mich neugierig an, umrahmt von schimmernder Haut wie brauner Samt. Als das Foto vor ein paar Wochen geschickt wurde, wollte ich wissen, warum Amy so anders aussieht als meine Eltern und ich, aber sofort wurde ich zurechtgewiesen, dass die ethnische Herkunft ohne Bedeutung sei und unter der wunderbaren Zentralkoalition keiner Erwähnung mehr wert sei. Aber wie kann man so etwas übersehen?
    Die drei sitzen an einem Tisch, zusammen mit einem fremden Mann. Alle Augen sind auf mich gerichtet, aber niemand sagt ein Wort. Mein Lächeln fühlt sich immer unnatürlicher an, wie ein Tier, das gestorben ist und jetzt mit einer Todesfratze auf meinem Gesicht klebt.
    Dann springt Dad von seinem Stuhl auf. »Kyla, wir freuen uns so, dass du jetzt zu unserer Familie gehörst.« Lächelnd nimmt er meine Hand und küsst mich auf die Backe. Seine Wange mit den Bartstoppeln fühlt sich rau an, aber sein Lächeln ist warm. Und echt.
    Dann kommen auch Mum und Amy zu mir und alle drei überragen mich mit meinen ein Meter fünfzig. Amy hakt sich bei mir ein und streicht über mein Haar. »So eine schöne Farbe, wie goldener Weizen. Und so weich!«
    Mum lächelt nun auch, aber ihr Lächeln gleicht meinem.
    Der Mann am Tisch räuspert sich und raschelt dann mit irgendwelchen Papieren. »Würden Sie bitte unterzeichnen?«
    Und Mum und Dad unterschreiben dort, wo er hinzeigt. Dann reicht Dad mir den Stift.
    Â»Deine Unterschrift, Kyla«, sagt der Mann und tippt auf eine leere Linie am Ende des langen Dokuments. »Kyla Davis« ist darunter getippt.
    Â»Was ist das?«, will ich wissen, und die Worte kommen aus meinem Mund, ehe ich denken kann, bevor ich spreche , wie Dr. Lysander es mir immer wieder eingeschärft hat.
    Der Mann am Tisch hebt eine Augenbraue, während sich auf seinem Gesicht erst Überraschung und dann Verärgerung spiegelt. »Das Standardformular für die Entlassung aus der stationären Behandlung in den externen Vollzug. Unterzeichne.«
    Â»Kann ich es erst lesen?«, frage ich, denn eine merkwürdige Sturheit in mir treibt mich an, obwohl ein anderer Teil von mir schlechte Idee flüstert.
    Die Augen des Mannes werden schmaler, dann seufzt er. »Ja, das kannst du. Dann warten jetzt bitte alle, bis Miss Davis ihrem Rechtsanspruch nachgekommen ist.«
    Ich blättere das Dokument durch, aber es hat über zehn Seiten, die so eng bedruckt sind, dass alles vor meinen Augen verschwimmt und mein Herz wieder rast.
    Dad legt mir eine Hand auf die Schulter und ich drehe mich um. »Das ist schon in Ordnung, Kyla. Nur zu«, sagt er ruhig.
    Auf ihn und Mum muss ich ab jetzt hören. Ich erinnere mich, dass das eine der Regeln ist, die mir eine Schwester letzte Woche geduldig zu erklären versucht hat. Und es ist Teil dessen, was im Vertrag steht.
    Ich werde rot und unterzeichne: Kyla Davis. Nicht mehr nur Kyla – der Name, den eine Beamtin für mich ausgesucht hat, als ich hier vor neun Monaten zum ersten Mal die Augen aufschlug. Und jetzt habe ich außerdem einen richtigen Nachnamen, der zu mir gehört und mich zum Teil einer Familie macht. Das steht auch irgendwo im Vertrag.
    Â»Lass mich das tragen«, sagt Dad und nimmt meine Tasche. Amy hakt sich wieder bei mir ein und wir gehen durch die letzte Tür.
    Und einfach so lassen wir alles hinter uns, was ich kenne.
    Mum und Dad mustern mich im Autospiegel, als wir aus der Tiefgarage unter dem Krankenhaus fahren. Es ist okay, denn ich mustere sie genauso.
    Sie fragen sich wahrscheinlich, wie sie zu zwei Töchtern gekommen sind, die so überhaupt nicht zusammenpassen. Und das hat noch nicht mal mit der Hautfarbe zu tun, die man ja sowieso nicht bemerken darf.
    Amy sitzt auf der Rückbank neben mir: groß, attraktiv und drei Jahre älter als ich. Ich bin klein und dünn und habe feine blonde Haare – ihre sind dunkel, dick und schwer. Sie ist eine Granate , wie einer der Pfleger immer eine Schwester genannt hat, auf die er stand. Und ich bin …
    Mein Gehirn sucht nach einem Wort für das Gegenteil von Amy, aber es kommt nichts. Vielleicht ist das aber auch schon die Antwort: Ich bin ein
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