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Geisterschiff Vallona

Titel: Geisterschiff Vallona
Autoren: dtv
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er aus dem Fenster geklettert und hinuntergesprungen.
     Seine Verfolger sahen nur noch einen Schatten die Straße hinunterrennen, ein Stoffbündel über die Schulter geworfen.
    ›Das Silber!‹, schrie der Kirchendiener und zeigte auf das Bündel. ›Haltet den Dieb! Ihm nach!‹
    Der Gasthof lag am Rande des Moores und genau in diese Richtung floh der Fremde.
    ›Ich habe nichts gestohlen. Ich bin unschuldig!‹, rief er verzweifelt über die Schulter zurück.
    ›Wenn du unschuldig bist, hast du nichts zu befürchten‹, keuchte der Kirchendiener.
    Aber die Verfolger hatten Fackeln, Knüppel und räudige, bellende Hunde bei sich.
    Wer wagt es da, stehen zu bleiben? Der Fremde jedenfalls nicht. Er rannte weiter, immer weiter auf das bodenlose Moor zu.
    Die Männer folgten dem Fremden ein Stück, aber am alten Cholerafriedhof, dort wo der Sumpf endgültig die Herrschaft übernahm,
     blieben sie stehen. Sie alle wussten, dass der Fremde dazu verurteilt war zu versinken.
    Der Dieb würde seine gerechte Strafe erhalten, ohne dass sie einen einzigen Handschlag dafür tun mussten. Und mit dieser Gewissheit
     machten sich die Männer auf den Heimweg.
     
    Der Kirchendiener aber lebte mit seiner Frau ein Stück außerhalb des Ortes, nicht weit entfernt von dem Weg, der durch das
     Moor führte. Er warschon fast zu Hause, als er einen leisen Hilferuf hörte.
    Erst erkannte er nicht, woher der Ruf kam. War es seine Frau, die im Haus rief? Oder hatte der schwache Abendwind die Stimme
     aus der Stadt heraufgetragen?
    Nein. Es kam aus dem Moor. Mit vorsichtigen Schritten tastete der Kirchendiener sich vorwärts, dabei hielt er seine Fackel
     in die Richtung, aus der das Rufen kam. Und da sah er eine winkende Hand in der Dunkelheit, nicht weit vom Weg entfernt.
    Es war der Fremde. Es war ihm tatsächlich gelungen, fast das ganze Moor zu durchqueren!
    Aber nur wenige Schritte vom sicheren Grund entfernt, war er doch in dem Gemisch aus Schlamm, Sand und verrottenden, schwefelig
     stinkenden Pflanzenteilen stecken geblieben. Mit jeder Sekunde zog das Moor ihn tiefer hinab. Schon war er bis zur Brust versunken.
    ›Hilf mir!‹, rief er. ›Bitte, hilf mir!‹
    Der Kirchendiener trat noch einen Schritt näher. ›Gib mir das Silber, dann helfe ich dir hinaus.‹
    ›Ich habe kein Silber‹, sagte der Fremde und presste das Bündel fester an sich. ›Ich schwöre es!‹
    Der Kirchendiener tastete sich ganz an den Rand des Weges heran. Entschlossen beugte er sich überden Mann. Aber statt ihn aus dem Morast zu ziehen, riss er ihm das Bündel aus der Hand.
    ›Neeein!‹, schrie der Fremde und versuchte dagegenzuhalten.
    Aber die Kräfte verließen ihn und das Moor sah seine Gelegenheit gekommen. Mit einem schmatzenden Laut umschloss es den Mann
     und zog ihn unerbittlich nach unten. Das Letzte, was man von ihm sah, war die Hand, die sich immer noch nach dem Bündel streckte.
    Inzwischen war es späte Nacht geworden und der Kirchendiener nahm den Stoffbeutel mit nach Hause. Er wollte seine Frau nicht
     aufwecken und so schlich er sich lautlos ins Schlafzimmer und setzte sich auf die Bettkante, um das Silber zu bewundern. Er
     kämpfte eine Weile mit dem Knoten, bis er ihn endlich aufbekam, dann wickelte er das Bündel auf   … Aber da waren gar keine Kostbarkeiten! Nur ein paar Äpfel, ein Stück Brot, eine Kette mit blutroten Perlen und ein paar
     Fabelwesen, von geschickter Hand aus Holz geschnitzt – typische Geschenke eines Seemannes für die Familie daheim. Der Kirchendiener
     keuchte auf und seine Frau wurde wach.
    ›Ich habe das Kirchensilber mit nach Hause genommen und es geputzt‹, murmelte sie verschlafen, während sie sich auf die andere
     Seitedrehte. ›Nicht dass du dich wunderst, wo es abgeblieben ist   …‹
    Der Kirchendiener stürzte in die Küche und ganz richtig: Dort stand das ganze Kirchensilber, ordentlich aufgereiht, frisch
     geputzt und glänzend.
    Schon klopfte es an die Haustür.
    ›Wo ist mein Silber?!‹, stöhnte eine klagende Stimme. ›Ich habe es mit meinem Leben bezahlt. Wo ist mein Silber?‹
    Der Fremde! Der Mann, der im Moor versunken war. Dem Kirchendiener wurde angst und bange.
    ›Geh weg!‹, schrie er. ›Verschwinde!‹
    Aber das Pochen hörte nicht auf. Da hielt sich der Kirchendiener die Ohren zu und ging, ohne sich umzusehen, ins Schlafzimmer
     und legte sich hin.
     
    Als er am nächsten Morgen aufwachte, war er davon überzeugt, dass alles nur ein Albtraum gewesen war – bis er
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