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Gehirnfluesterer

Gehirnfluesterer

Titel: Gehirnfluesterer
Autoren: Kevin Dutton
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jemanden beruhigen, oder, wie damals der Bettler, jemandem
     Geld aus der Tasche leiern wollen, versuchen wir uns Zeit zu nehmen. Sorgfältig legen wir uns ein Angebot zurecht. Abgesichert
     mit guten Gründen. Man frage einen versierten Verkäufer: Es ist alles andere als einfach, einen Sinneswandel herbeizuführen.
     In neun von zehn Fällen sind Überredung und Beeinflussung abhängig von einem komplexen Bündel von Faktoren; nicht nur davon,
     was wir sagen, sondern auch davon, wie wir es sagen. Und noch mehr davon, wie verstanden wird, was wir sagen. In der großen
     Mehrzahl der Fälle üben wir Einfluss aus, indem wir sprechen. Wir mixen einen Cocktail aus Kompromissen, Unternehmungsgeist
     und Verhandlungsgeschick und packen das, was wir wollen, in ein ausgeklügeltes Paket aus Worten. Doch bei meinem Freund und
     dem Bettler funktionierte das anders. Da gab es keine Verpackung, ganz im Gegenteil. Es war die unmittelbare Direktheit der
     Beeinflussung, ihre unverhüllte und überwältigende Eleganz, der geschickt platzierte, unerwartete Anflug psychologischer Genialität,
     die den Ausschlag gaben.
    Oder etwa nicht?
    Sobald ich San Francisco hinter mir gelassen hatte und zurückgekehrt war in das ähnlich überraschende und ebenfalls kaum berechenbare
     Milieu des akademischen Lebens in Cambridge,begann mich die Frage immer mehr zu interessieren. Gab es, tief im Urgestein der Überzeugungskraft verborgen, ein Elixier
     der Beeinflussung? Eine geheime Kunst, Menschen in eine Art »Flipnosis« zu versetzen, sie quasi zu hypnotisieren und ausflippen
     zu lassen, sie um ihren Verstand zu bringen? Konnte man das lernen, um die Waagschale zum eigenen Vorteil anzutippen? Um ein
     Geschäft zum Abschluss zu bringen, um andere für sich einzunehmen? Vieles von dem, was wir heute über das Gehirn wissen –
     über die Beziehung von Funktion und Struktur   –, haben wir nicht gelernt, indem wir normales Verhalten untersucht haben, sondern durch das Studium extremen Verhaltens.
     Könnte das nicht auch im Fall von Überzeugungskraft zutreffen? Denken wir an die Sirenen in der ›Odyssee‹, schöne Mädchen,
     deren Gesang so großartig war, dass keiner auch bei Androhung der Todesstrafe ihm widerstehen konnte. Oder an Amor und seine
     Pfeile. Oder an die geheime Saite, die David anschlug, um Gott zu gefallen, wie es Leonard Cohen in seinem Lied ›Halleluja‹
     beschreibt. Existierte eine solche Saite auch außerhalb der Mythologie?
    Im weiteren Verlauf meiner Forschungen wurde die Antwort allmählich klar. Langsam, aber sicher wuchs die Liste der Beispiele,
     es gab genug Stoff, um das kühle, digitale Raster der Statistik darüberzulegen. Ich fing an, die Elemente einer ganz neuen
     Art von Einfluss zuzuordnen, quasi das Genom einer geheimnisvollen, bisher nicht identifizierten Superkraft der Überzeugung
     aufzuzeichnen. Meistens haben wir eine Vorstellung davon, wie wir jemanden überzeugen wollen. In der Regel nach dem Muster
     von Versuch und Irrtum. Wir scheitern ebenso oft, wie wir Erfolg haben. Manche Menschen aber kriegen es immer hin, von einem
     Augenblick zum anderen, und das mit chirurgischer Präzision. Und nicht nur gemütlich am Kaffeetisch, wenn es um nichts wirklich
     Wesentliches geht, sondern in entscheidenden Situationen, wenn es drauf ankommt, wenn der Einsatz hoch ist und die Emotionen
     hochgehen. Wer sind diese Menschen, die den schwarzen Gürtel der Beeinflussung tragen, was bewegt, was treibt sie an? Und,
     möglicherweise noch wichtiger, können wir was von ihnen lernen?
     
    Ich war auf einem Flug nach New York, dank der Filmgesellschaft, die mich eingeladen hatte, sogar in der Business Class. Schräg
     gegenüber saß ein Mann, der offenbar ein Problem mit seinem Essen hatte. Er schob es auf seinem Teller hin und her, dann zitierte
     er den Steward zu sich.
    »Das Essen ist beschissen«, sagte er.
    Der Steward nickte und zeigte sich äußerst verständnisvoll. Er ging geradezu auf die Knie. Es täte ihm so leid. Was könne
     er tun, um das wiedergutzumachen? Er wolle doch auf jeden Fall dazu beitragen, dass der Gast auch weiterhin mit seiner Gesellschaft
     fliege.
    Nicht schlecht.
    Der Gast ließ sich aber nicht besänftigen (er machte den Eindruck, als ob das überhaupt schwer bei ihm sei).
    Er sagte: »Schauen Sie, ich weiß, es ist nicht Ihr Fehler. Aber das reicht mir einfach nicht. Und wissen Sie was, ich habe
     dieses ewige nette Getue so satt!«
    Dann geschah etwas, wodurch sich
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