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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Mary Hooper
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kleine Bündel aus der Stadt zu bringen, denn die Friedhöfe in London sind allesamt überfüllt und geschlossen worden, und du hättest es bestimmt nicht gern, wenn das Kleine ohne Sarg in einem Armengrab verbuddelt würde, oder?«
    Grace schüttelte den Kopf. Die bloße Vorstellung war ihr schon unerträglich.
    »Eben. Drum musst du nach Brookwood hinausfahren.«
    »Was ist das?«
    »Das ist so was wie ein wunderschöner Park, mit Bäumen und Blumen und Statuen drin. Wenn du dann an dein Kleines denkst, kannst du es dir dort draußen vorstellen, wo schöne Engel aus Stein über ihm wachen.« Die Vorstellung rief ein kleines Lächeln auf Graces Gesicht, und auch die Hebamme lächelte. Es war so, wie sie gedacht hatte: Die Beerdigung des Kindes, das vollzogene Ritual, würde helfen, die Trauer zu bewältigen. »Und wenn du ihn begraben hast«, setzte sie hinzu, »dann musst du mit deinem Leben noch mal von vorn beginnen   … «
    »
Noch mal von vorn beginnen
… «, murmelte Grace, als sie an das Gespräch zurückdachte. Auf einmal merkte sie, dass sie, eingelullt von dem rhythmischen Schaukeln des Nekropolis-Zugs, die Worte laut ausgesprochen hatte.
    »Alles in Ordnung, Kind?«, fragte der Mann neben ihr. Er trug einen schäbigen Gehrock und einen zerbeulten schwarzen Zylinder.
    Grace nickte und drückte ihr Bündel fester an sich.
    »Du bist sehr jung, um schon allein mit diesem Zug zu fahren. Ist ein Familienmitglied von dir gestorben?«
    Grace nickte, machte dazu eine Geste, als sei sie zu sehr von Trauer überkommen, um zu sprechen, und starrte durchs Fenster hinaus auf die vorbeigleitende Landschaft.
    Noch mal von vorn
, schien der Rhythmus der Eisenbahnräder zu raunen.
Noch mal von vorn
… Wenn sie nur diesen Tag überstehen und noch einmal neu anfangen könnte, betete sie im Stillen, dann wollte sie versuchen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Dann würde sie sich anstrengen, um sich und Lily ein anderes und besseres Leben aufzubauen.
    Ein schrilles Pfeifen ertönte, als der Zug unter einer Brücke hindurchfuhr. Der Krach riss Grace aus ihren Gedanken. Sie musste einen letzten Ruheplatz für ihr Kind finden   …
    Manche hätte diese Aufgabe mit Entsetzen erfüllt, die Vorstellung, einen Hort der Toten zu betreten, doch Grace hatte in ihrem Leben schon genügend Leid erfahren, um zu wissen, dass man sich nur vor den Lebenden zu fürchten brauchte, nicht vor jenen, die ins Jenseits hinübergegangen waren. Sie zog sich ihr Wolltuch fester um den Kopf, schob die Abteiltür auf und trat auf den Gang hinaus. Hier war alles still: Jede Trauergesellschaft hatte ihren eigenen, privaten Waggon (und im letzten saßen die Angestellten der Beerdigungsgesellschaften zusammen, erzählten sich Anekdoten und genossen ein Schlückchen aus der Whiskeyflasche).
    Der Zug ging dröhnend und heftig schaukelnd in eine Kurve. Grace hielt sich am Fensterrahmen fest und wartete, bis er wieder geradeaus fuhr. Dann schob sie die Tür zu dem Waggon auf, in dem sich die Särge befanden, und ging hinein.
    Der Wagen hatte kein Fenster und war nur spärlich vom Licht zweier Kerzen beleuchtet, die in Haltern an der Wand befestigt waren. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Graces Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Sie sah, dass der Wagen drei Abteilungen aufwies, eine jede mit schmalen Eisenregalen ausgestattet, auf denen die Särge ruhten. Selbst in dem kümmerlichen Licht waren Reich und Arm leicht zu unterscheiden: Die Särge der dritten Klasse waren aus billigem Spanholz gefertigt und die Schildchen mit dem Namen des Verstorbenen und dem Todestag von Hand geschrieben, während die Särge der ersten Klasse aus lackiertem, auf Hochglanz poliertem Holz bestanden und Beschläge, Griffe und gravierte Schilder aus Messing oder Silber trugen.
    Grace ging in die Abteilung der ersten Klasse und las ein paar der Namensschilder. Sie klangen wie Visitenkarten fürs Himmelreich:
Sebastian Taylor, hingebungsvoller Gatte und Vater; Maud Pickersley, widmete ihr Tun den Mittellosen und Notleidenden; Jessy Rennet, führte ein Leben der Frömmigkeit und Hoffnung.
    Die Bremsen des Zugs quietschten, und der Zug verlangsamte seine Fahrt ein wenig, als ob er sich seinem Ziel näherte. Grace ließ den Blick nervös über die Särge wandern. Welchen sollte sie nehmen? Sie wollte auf jeden Fall, dass ihr Kind bei einer Frau ruhte, jemandem, der sich nach einem freundlichen Menschen anhörte und aus einer guten Familie kam.Sie blieb vor einem Sarg
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