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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Mary Hooper
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verzog sie angesichts der nächsten Wehe schon vorzeitig schmerzvoll das Gesicht.
    Als die Wehe vorbei war, fragte die Hebamme: »Weiß der Vater des Kindes Bescheid? Wird er dir helfen? Ist er – Gott bewahre   –, ist er womöglich verheiratet?«
    »Er weiß nichts«, antwortete Grace flüsternd. »Und er wird es auch nie erfahren.«
    »Du hast also niemanden, der sich nach der Niederkunft um dich kümmern wird? Niemand, der das Kind willkommen heißt und dir beim Aufziehen zur Seite steht?«
    Grace schüttelte den Kopf. Sie hatte sich einfach nicht vorstellen können, dass das einmal Realität würde: so ein rotgesichtiges schreiendes Bündel, das sich arme Frauen auf den Rücken banden, wenn sie zur Arbeit gingen.
    »Ja, in Gottes Namen, willst du denn das Kind bloß als ein Requisit, um damit betteln zu gehen?«, fragte die Hebamme plötzlich.
    »Nein!«, entgegnete Grace mit so viel Empörung, wie sie zwischen den Wehen zustande brachte.
    Die Wehen wurden stärker und kamen in immer dichteren Abständen, und einmal hielt Mrs   Smith Grace ein Fläschchen mit starkem Riechsalz hin, von dem ihr so schummrig wurde, dass sie in eine Art Dämmerzustand nahe der Bewusstlosigkeit versank, obwohl die Wehen sie nach wie vor plagten. Als die Wirkung des Salzes nachließ und Grace wieder ganz zu sich kam, war es dunkel geworden in dem Raum. Die Hebamme kümmerte sich um ein Mädchen zwei Betten weiter. Erschöpft kämpfte sich Grace in eine sitzende Position auf und beugte sich ans Fußende ihres Betts vor, um in die Kiste zu sehen.
    Sie war leer.
    Grace rief nach Mrs   Smith, die einen Augenblick später zu ihr kam. Ein sanfter, tröstender Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, und sie strich Grace übers Haar, während sie sprach. »So traurig es auch ist, ’s ist wohl das Beste so«, sagte sie.
    »Was ist passiert? Wo ist das Baby?«
    »Ach. Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, mein liebes Kind, aber das Baby ist gestorben.«
    Es trat eine lange, lange Stille ein, und Grace war selbst überrascht, als sie bemerkte, dass ihr dicke Tränen über die Wangen kullerten. Sie hatte sich das Kind nicht einmal als echtes, lebendes Baby vorstellen können, überlegte sie verwundert, warum war es dannso niederschmetternd, zu erfahren, dass das Baby tot war?
    »Was war es denn?«, fragte sie schließlich.
    »Ein Junge. Gott segne ihn.«
    »Hat er überhaupt gelebt?«
    Mrs   Smith schüttelte den Kopf. »Eine Totgeburt. Hat keinen einzigen Atemzug getan.«
    Grace sank auf die Matratze zurück. »Habe ich irgendetwas falsch gemacht – während ich ihn trug?«
    »Nein, liebes Kind. So etwas passiert einfach manchmal bei ganz jungen Mädchen. Dein Körper war noch nicht bereit, ein Kind auszutragen. Ich denke, es ist am besten so. Du bist ja selbst noch ein Kind und hast niemanden, der sich um dich kümmert. Das Kleine hätte sowieso den ersten Winter nicht überstanden. Seven Dials ist kein Ort, um ein Kind aufzuziehen.«
    »Aber
tot
… «
    »Gar nicht am Leben«, verbesserte die Hebamme. Sie schob Grace eine Haarlocke hinters Ohr. »Du bist noch sehr jung. Du wirst noch andere Kinder bekommen, wenn es an der Zeit ist. Du wirst diese traurige Sache vergessen.«
    »Kann ich   …?« Grace zögerte, da sie sich selbst nicht sicher war, welche Antwort auf ihre Frage sie sich wünschte. Doch die Hebamme kam ihr zuvor.
    »Es ist besser, ihn nicht mehr zu sehen«, sagte sie rasch. »Ich rate immer davon ab. Stell dir einfach vor, das Ganze war bloß ein Traum, eine Geschichte   …etwas, was gar nicht wirklich passiert ist. So kommt man leichter drüber weg.«
    Grace hatte wieder zu weinen angefangen.
    »Wie gesagt, so ist’s am besten. Und jetzt schlaf und ruh dich aus über Nacht, dann bist du im Nu wieder bei Kräften und auf den Beinen.«
    Und tatsächlich: Nach einer durchschlafenen Nacht und einer Schale Kartoffeln mit Fleisch – eine milde Gabe der Gesellschaft zur Rehabilitation mittelloser Frauen und Mädchen – wurde Grace aufgefordert, ihr Bett in Berkeley House für die nächste Bedürftige zu räumen. Bevor sie das tat, wurde ihr allerdings ein fest verschnürtes Bündel überreicht, und die Hebamme erzählte ihr von einem wunderbaren Parkfriedhof draußen auf dem Land.
    »Ich mach das nicht für jedes Mädel«, hatte Mrs   Smith gesagt und ihr dabei zwei Münzen in die Hand gedrückt. »Aber es tut mir besonders leid für dich.«
    Grace schaute sie fragend an.
    »Die zwei Shillinge sind das Fahrgeld, um dieses
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