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GEHEIMNISSE DER NACHT

GEHEIMNISSE DER NACHT

Titel: GEHEIMNISSE DER NACHT
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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senkte meinen Kopf. Der Schlag schmerzte, doch ich murmelte zustimmend. „Ich verspreche es.“ Ich schämte mich der Tränen, die in meinen Augen brannten. Sie kamen eher durch den Schreck als durch den Schmerz. Meine Mutter erhob kaum jemals die Hand gegen mich. Ich verstand nicht, warum sie es in dieser Nacht tat.
    Dann kniete sie sich noch einmal hin, ihre Hände auf meinen Schultern, ihr ausgezehrtes Gesicht nahe an meinem. „Dieses Versprechen musst du halten, Dante. Wenn du es brichst, ist deine Seele in Gefahr. Merk dir meine Worte gut.“ Sie atmete tief durch, seufzte und küsste die Wange, die sie gerade erst geschlagen hatte. „Und jetzt ins Bett mit dir.“ Sie hatte sich etwas beruhigt, und ihre Stimme klang fast wieder normal.
    Ich war alles andere als ruhig. Etwas hatte in dieser Nacht mein Blut aufgewühlt. Ich kroch in mein Bett, zog mir die Decke über den Kopf und ließ die kleine, kalte Steinfledermaus aus meinem Ärmel in meine Hand fallen. Unter der Decke, wo meine Mutter mich nicht sehen konnte, hielt ich sie fest und strich mit dem Daumen über ihre harte Oberfläche. Mama blieb noch eine ganze Weile neben meinem Bett stehen, ehe sie die Lampe ausblies und sich zusammenrollte – nicht auf ihrem eigenen Bett, sondern auf dem Boden neben meinem, mit einer abgetragenen Decke als einziges Kissen.
    Als ich die ruhigen Atemzüge meiner Mutter hörte, rollte ich mich an den Rand des Zeltes und stieß meinen Zeigefinger durch das kleine Loch dort. Ich hatte es in den Stoff gemacht, damit ich die Erwachsenen noch lange, nachdem sie die Kinder zu Bett geschickt hatten, um das Feuer sitzend beobachten konnte. In der Dunkelheit riss ich das Loch ein wenig weiter auf. Und durch das winzige Loch beobachtete und belauschte ich nun Großmutter, die Weise unserer Bande, die älteste und verehrteste Frau aller Familien dabei, wie sie sich der schönsten Frau stellte, die ich je im Leben gesehen hatte.
    „Warum quälst du uns, indem du in unsere Mitte zurückkehrst?“, fragte Großmutter. Die tanzenden Flammen bemalten ihr ledernes Gesicht in Orange und Braun, in Schatten und Licht.
    „Warum? Du, meine eigene Schwester, fragst mich, warum?“
    „Schwester, pah!“ Großmutter spuckte auf den Boden. „Du bist mir keine Schwester, sondern ein Dämon. Ausgestoßen! Verflucht!“
    Ich schüttelte verwundert den Kopf. Was konnte Sarafina meinen? Schwester? Sie konnte kaum mehr die Schwester der alten Frau sein als … als ich selbst.
    „Sag mir, warum du hierherkommst, Dämon! Es sind immer die Kinder, die du bei deiner Rückkehr um dich versammelst. Es geht um eines von ihnen, nicht wahr? Dein elender Fluch hat sich an eines von ihnen weitergegeben! Nicht wahr? Nicht wahr ? “
    Sarafina lächelte zurückhaltend. Ihr Gesicht, eingetaucht in das Leuchten des Feuers, schien gleichzeitig engelsgleich und dämonisch. „Ich komme, weil ihr alles seid, was ich habe. Ich werde immer wiederkehren, alte Frau. Immer. Lange nachdem du zu Staub zerfallen bist, werde ich zurückkehren, und den Kleinen Geschenke bringen. In ihren Augen finde ich die Liebe und die Akzeptanz, die meine eigene Schwester mir verweigert. Und es gibt nichts, was du tun kannst, um es zu verhindern.“
    Ehe Sarafina sich abwendete, sah sie an Großmutter vorbei und direkt in meine Augen. Als hätte sie die ganze Zeit gewusst, dass ich sie von der anderen Seite des kleine Lochs in der Zeltwand aus beobachtete. Sie hatte mich nicht sehen können. Und doch muss es so gewesen sein. Ihre Lippen zuckten fast unmerklich an ihren Mundwinkeln, und ihr Mund bewegte sich. Auch wenn kein Laut hervorkam, wusste ich, welche Worte sie flüsterte. Denk an mich.
    Dann drehte sie sich mit fliegenden Röcken um und verschwand in der Nacht. Ich sah nur für einen Augenblick, wie die Farben ihrer Schals einem Kometenschweif gleich hinter ihr her zogen. Dann verschluckte sie die Schwärze der Nacht, und ich konnte sie nicht mehr sehen.
    Ich legte mich auf meine Kissen und zitterte vor unerklärlicher Angst.
    Ich war es. Meine Tante war meinetwegen gekommen. Tief in meiner Seele war es mir klar. Was sie von mir wollte, konnte ich nicht erraten. Warum ich so sicher war, blieb mir ein Rätsel. Aber bis ins Innerste wusste ich, dass sie tatsächlich einen Grund hatte, trotz des Hasses, der ihr entgegenschlug, zurückzukehren.
    Und dieser Grund … war ich.
    Langsam, langsam senkte sich der Rauch der Lagerfeuer. Das Licht der Flammen wurde trüber, und die Hitze – so
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