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Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers
Autoren: Henning Mankell
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sich hinsetzen und erstarren? Sofia dachte daran, dass sie umgeben war von Angst. Banditen gab es hinter ihnen genauso wie vor ihnen. Wenn Lydia sich an dem einen Nachmittag nicht hingesetzt hatte und erstarrt war, bedeutete das keine Erleichterung für Sofia. Dann müsste sie eben fürchten, es könnteam nächsten Tag geschehen. Aber es geschah nie.
    Eines Tages war auch die lange Wanderung zu Ende. Sie kamen zu einem Dorf, in dem nur Menschen wohnten, die vor den Banditen geflohen waren. Sie sprachen verschiedene Sprachen. Ein weißer Mann, der Pfarrer war, sah sie traurig an. Mit Hilfe eines Mannes aus dem Dorf, der dieselbe Sprache wie Lydia sprach, konnte sie erklären, von wo sie geflohen waren. Sie erzählte von der Nacht, in der die Banditen gekommen waren um zu plündern, zu brandschatzen und zu morden. »Auch die Hunde«, sagte Sofia. »Sie haben auch unsere Hunde getötet.«
    Zum zweiten Mal bauten sie eine Hütte aus Stroh und Lehm an einem Hang. Dort unten schlängelte sich ein Fluss. Am ersten Abend, als sie wieder unter einem Dach schlafen konnten, lag Sofia da und schaute hinaus in die Dunkelheit. Sie merkte, dass Maria, die neben ihr lag, auch noch nicht schlief. »Hier werden wir wohnen«, flüsterte Sofia. »Warum kommen die Banditen nicht hierher?«, fragte Maria.
    »Vielleicht haben sie noch nicht hergefunden«, antwortete Sofia. »Denk nur daran, wie viele Tage wir gewandert sind. Unsere Füße sind geschwollen und voller Wunden.«
    »Die Banditen haben vielleicht Schuhe«, sagte Maria und Sofia merkte, dass sie Angst hatte.
    »Ich glaube nicht, dass Monster Schuhe haben«, sagte sie. »Wir werden hier wohnen. Nichts wird geschehen.«
    Maria kroch näher zu Sofia heran. Sie spürte, wie die Wärme von Marias Körper auf sie überging. Hier werden wir leben, dachte sie. Aber meinen Vater Hapakatanda werde ich nie wieder sehen. Oder all die anderen, die meine Freunde, meine Familie waren. Auch die Hunde werde ich nicht wieder sehen. Plötzlich merkte sie, dass sie weinte.
    Es war, als ob sie erst jetzt all die Trauer spüren konnte, die sie mit sich herumtrug. Wenn all diese Trauer, die sie spürte, in einem Korb läge, den sie auf dem Kopf tragen musste, dann würde sie zusammenbrechen. Für einen so schweren Korb war sie zu klein.
    Dennoch wusste sie, dass sie ihn tragen musste. Es würde ihn immer geben, den Trauerkorb. Ihr ganzes Leben lang.
    Schließlich schlief sie ein und träumte von Muazena und von den Geheimnissen des Feuers.
    »Wir sind angekommen«, flüsterte sie Muazena im Traum zu. »Wir sind angekommen und wir leben noch. Und ich habe das Meer gesehen.«
    Am nächsten Tag wurde Sofia sehr früh wach. Aber Lydia war natürlich schon aufgestanden. Als Sofia vor die Hütte trat und sich den Schlaf aus den Augen rieb, hockte dort Lydia und entfachte ein Feuer. Sie sah Sofia an und lächelte. Sofia dachte, dass es sehr lange her war, seit sie Lydia zuletzt hatte lächeln sehen. Das erfüllte sie mit großer Freude. Jetzt wusste sie, dass die lange Wanderung zu Ende war.
    Sie waren endlich angekommen. Hier würden sie wieder zu leben beginnen.
    3.
    Eines Tages, als Sofia gerade draußen vor der Hütte fegte und Maria zum Wasserholen an den Fluss gegangen war, rief Lydia nach ihr. Sie war dabei, Mais mit dem großen Rundholz zu stoßen, und musste ihren Rücken strecken.
    »Du und Maria, ihr seid euch so ähnlich«, sagte sie und lachte. »Manchmal kann nicht einmal ich, die ich doch eure Mutter bin, euch unterscheiden. Trotzdem seid ihr keine Zwillinge.«
    »Und wer fegt gerade?«, fragte Sofia. »Jetzt sehe ich, dass du Sofia bist«, sagte Lydia. »Aber manchmal bin ich unsicher, wer wer ist. Dabei seid ihr doch ein Jahr auseinander. Maria wird immer ein Jahr älter sein als du.«
    Dann fuhr sie fort den Mais mit dem dicken, schweren Rundholz zu stoßen. Sofia fegte weiter und dachte über das nach, was Lydia gesagt hatte. Sie fand es seltsam, dass ein Mensch einen anderen nicht im Alter einholen konnte.
    Alles andere auf der Welt, was sie kannte, holte einander wachsend ein. Die Maispflanzen wurden früher oder später gleich groß, die Tomaten gleich rot, die Küken gleich groß. Aber Menschen wurden nicht gleich alt. Sie und Maria nicht.
    Im selben Augenblick sah sie Maria den Pfad vom Fluss mit der schweren Blechwanne voller Wasser heraufkommen. Sofia stellte den Besen beiseite und hoffte, Lydia würde nicht sehen, wie sie sich davonschlich.
    Lydia mochte es nicht, wenn man eine
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