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Geheimnis des Feuers

Geheimnis des Feuers

Titel: Geheimnis des Feuers
Autoren: Henning Mankell
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allem in ihrem Leben vergessen wollte, sah sie verzerrte Menschengesichter im grellen Feuerschein. Es waren Menschen, aber sie glichen Monstern, und Sofia hatte sofort begriffen, dass sie gekommen waren, um sie und alle anderen im Dorf zu töten.
    Es waren die Banditen.
    Sie hatten sich im Schutz der nächtlichen Dunkelheit an das Dorf herangeschlichen und sie hatten die Hütten niedergebrannt und die Menschen getötet. Irgendwo in diesem entsetzlichen Durcheinander von Feuer und Tod, von blutigen Körpern, Schreien und Rufen, hatte ihr Vater Hapakatanda versucht sie und Maria zu verstecken. Doch er war von einem Stich mit einem großen Messer getroffen worden, oder vielleicht war es auch ein Beil gewesen, und er war gefallen und sie hatte zusammen mit Maria unter ihm gelegen.
    Dann war es sehr still gewesen und sie hatte verstanden, was mit der Stille des Todes gemeint war. Aber ihrem Vater war über den Tod hinaus gelungen, was er gewollt hatte: sie und Maria vor den Messern, Beilen und Gewehren zu schützen.
    Am Morgen, als die Sonne zurückkehrte, wagten sie es hervorzukriechen. Ihr Vater war tot und sie hatten sehr geweint. Muazena war auch tot, sie lag vornübergefallen über dem verglimmenden Feuer. Aber Lydia war nicht da, auch Alfredo nicht. Weder Sofia noch Maria wagten zu rufen und sie weinten lautlos, während sie aus der Hütte krochen. Sie gingen durch das Dorf, überall lagen tote Menschen und sie kannten alle und waren mit ihnen verwandt, Menschen, mit denen sie gespielt, gearbeitet und gelacht hatten. Die Monster, die in der Nacht gekommen waren, hatten die Stille des Todes mitgebracht, sie hatten das Dorf in einen Friedhof verwandelt. Überall lagen tote Menschen in verrenkten Stellungen; die Monster hatten sogar die Hunde umgebracht. Manchen waren Arme und Beine abgeschlagen, einem auch der Kopf. Sofia und Maria gingen durch das tote Dorf, durch die Stille des Todes, bis sie die letzte der niedergebrannten Hütten erreichten. Sofia dachte, irgendwo müsse Lydia sein, ebenso Alfredo. Alle konnten doch nicht tot sein. Es konnte einfach nicht sein, dass nur Maria und sie übrig waren. Das war es, wovon Muazena erzählt hatte, das größte Grauen für einen Menschen ist es, der letzte Mensch auf der Erde zu sein. Ich will nicht der letzte Mensch sein, hatte sie hinter ihrem lautlosen Weinen gedacht. Wenn Maria auch noch etwas zustößt, bin ich allein übrig.
    Aber Lydia war dort gewesen. Am Rande des Dorfes, versteckt in einem Gebüsch, fanden Sofia und Maria sie, Alfredo war auch am Leben geblieben. Dort waren Lydia, Alfredo, zwei andere Frauen und drei Kinder.
    Sofia und Maria durften ihre Freude nicht herausschreien, vielleicht waren die Banditen noch in der Nähe und konnten sie hören. Sie umfassten einander nur und lagen den ganzen Tag im Gebüsch versteckt, ohne Wasser, ohne zu essen, und warteten, dass es wieder dunkel würde.
    Dann waren sie geflohen. In der ersten Nacht schlugen sie sich durch das kratzende Gebüsch, solange sie konnten.
    Danach trauten sie sich auch tagsüber zu wandern. Da sie nicht wussten, wohin, gingen sie einfach geradeaus, geradewegs hinaus in das trockene Land, hin zu den hohen Bergen, die am Horizont zu sehen waren. Sofia erinnerte sich an ihren Hunger. Aber der Durst hatte sie noch mehr gequält.
    Am dritten Tag zerstritt Lydia sich mit den anderen beiden Frauen darüber, in welche Richtung sie gehen sollten.
    Sie trennten sich und Lydia, Sofia, Maria und Alfredo wanderten weiter auf die Berge zu, während die anderen Frauen in eine andere Richtung abbogen. Sie gingen weiter und drehten sich nicht mehr um.
    Irgendwo auf dem Weg ins Unbekannte trafen sie eine alte Frau. Sie war sehr arm, ihre Kleider hingen in Fetzen an ihr herunter und die Beine waren geschwollen und voller Wunden. Sofia dachte, sie ist genauso alt wie Muazena.
    Plötzlich stand sie vor ihnen, und als Mama Lydia sie ansprach, konnten sie sich verständigen, denn ihre Sprachen waren ähnlich. Lydia erzählte, was geschehen war. »Das waren die Banditen«, sagte sie. »Sie sind in der Nacht gekommen und sie haben meinen Mann umgebracht.«
    »Wen noch?«, fragte die alte Frau. »Die Banditen sind Ungeheuer und sie töten niemals nur einen. Sie töten, so viele sie können.«
    »Sie haben alle im Dorf getötet«, antwortete Lydia. »Und die Hunde«, sagte Sofia. »Sie haben auch alle Hunde umgebracht.«
    Die alte Frau begann den Körper zu wiegen, sie warf den Kopf hin und her und stieß klagende Rufe
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