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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte
Autoren: Carmen Sylva
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dir das zeigen, was geschehen muß, und dem du nicht entrinnen kannst, und das du, Seele, ganz genau weißt, wenn du von dem beengenden Gehirn befreit bist.
    Müde! Aber Seele, frage dich einmal, ob deine Müdigkeit Stich hält gegen eine einzige kleine Freude, oder gegen einen erfüllten Wunsch? Wo ist sie hingekommen deine Müdigkeit, wenn dir ein Werk gelungen ist? Sie kehrt nur wieder, wenn dies Werk verkannt und mißachtet wird. Sie kehrt wieder, wenn du Angst erduldet hast. Denn Angst macht sehr müde. Wen? Doch wohl nur denKörper; denn der Körper hat Herzklopfen und trockne Lippen, der Körper hat kalte Hände und Ohnmacht, der Körper fällt nieder und kann sich nicht aufrichten. Du aber, Seele, du hast das alles nicht, du stehst schon über deiner Angst, wenn du nur genau weißt, was dir bevorsteht, und was du erdulden mußt, unentrinnbar, unentweichbar. Du stehst, wie der Feldherr über der Schlacht, vor der dein Antlitz erbleicht, und deine Zähne zusammenschlagen, aber du bleibst dennoch stehn, wie der Feldherr auf seinem Posten, und wunderst dich über deinen Mut. Der ist nicht größer, wie der des Weibes, das gebären muß. Sie weiß, ihre Stunde ist gekommen und nichts kann sie abwenden, das Kind muß in die Welt, und wenn sie sich auch tagelang in Qualen windet, und wenn sie ihr Leben darum verlieren wird, das Kind muß in die Welt. So stehst du, Seele, vor dem Unabänderlichen, das du weißt, das du so gut weißt, als hättest du es in einem Spiegel gesehen. Du tust nur vor dir selber so als wüßtest du es nicht. Du weißt die Folgen deiner Handlungen, du weißt, daß sogenanntes Unglück über dich hereinbrechen wird, aber du machst die Augenzu und willst es nicht sehen, und sagst, du bist müde.
    Du stirbst nicht vor Schmerz und weißt es. Vielleicht erliegt dein Körper, aber du weißt, daß die Seele auskosten muß, was ihr bestimmt ist zu erleben.
    Darum haben einige Menschen eine Hölle und ein Fegefeuer erfunden, in dem deutlichen Gefühl, daß die Seele nicht fertig mit Erleben ist, wenn auch zufällig das Erdenkleid abgestreift ist. Darum ist Selbstmord nur Gehirnschwäche, nicht Seelenentkräftung, denn du, Seele, mußt dennoch auserleben, was dir bestimmt ist, in einer oder der andern Form. Du kannst dem nicht entrinnen, was du Schicksal nennst. Du hast auch eine Ahnung davon, daß es umsonst ist dem Körper ein Ende zu machen, und zauderst, und denkst, vielleicht wendet sich doch das Unerträgliche noch, und dann ist es vielleicht ein für allemal ausgetrunken, und du brauchst nicht noch einmal anzufangen.
    Und wenn in dem Augenblicke, da du mit dem Erdenleben abschließen willst, ein Hoffnungsstrahl durch dein Herz zieht, wie schnell öffnest du deine Herzenskammer dem eindringendenLichte, wie bitter bereust du, daß du hast das kurze Leben nicht tragen wollen, und wie lächelst du später, wenn es dir besser geht, darüber, daß du so töricht hast handeln wollen! Es ist meistens nur ein Augenblick, der so ganz unerträglich ist, denn dann kommt schon wieder irgend eine Kleinigkeit, die dir das Sein in anderm Lichte zeigt. Du bist viel weniger verlassen und vergessen als du es wähnst, du bist von vielen umgeben, die deiner warten, aber du glaubst es nicht in der Stunde, welche du Verzweiflung nennst. Deine Verzweiflung ist nur Ungeduld. Denn, wärest du über der Erde wie der Feldmarschall über der Schlacht, so würdest du eben nicht verzweifeln, sondern die Zähne zusammenbeißen, Seele. Du glaubst nicht an Gott? Warum denn nicht? Weil du eben leidest? Ist das ein Grund? Aber dein Leiden ist vielleicht von der allerhöchsten Notwendigkeit, nicht nur in der dir sichtbaren Welt, sondern es greift vielleicht in dir fremde Welten hinein, und du bist nur ein kleiner Teil von dem, was hervorgebracht werden soll. Du mußt dein Kind hergeben und wähnst dich deswegen von Gott verlassen, und weißt nicht, wie gütig Gott dein Kindvor der Erdenqual bewahrt und es reif findet für viel höheren Beruf, und dich nicht reif genug, um es dem höheren Beruf entgegenzuführen.
    Gott hat dich verlassen, weil er dich auf der Erde zur Witwe gemacht hat? Aber dein Mann hat eine Seele gehabt, die dir nicht gehört, in aller Ewigkeit nicht, denn du hast sie vielleicht nicht so verstanden und nicht so gehütet, wie sie es hätte haben sollen, und da wird sie abgerufen zu ihrem höheren Beruf oder zum Ruhen, nach langem Kampfe, den du nicht treu genug geteilt. Und nun stehst du da und ringst die Hände,
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