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Gefangene des Meeres

Gefangene des Meeres

Titel: Gefangene des Meeres
Autoren: James White
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einer Schwelle, die vierzig Zentimeter über dem Boden lag. Die Höhe derartiger Schwellen war sorgfältig kalkuliert, so ging ein Gerücht, damit sie den Benutzern der Türen ein Maximum an Haut von den Schienbeinen schürfen konnten. Man betrachtete diese Türen allgemein als einen Fluch und eine Zeitverschwendung und einen Greuel – bis eine Katastrophe eintrat. Nun drehte Wallis das Handrad zurück, das die Tür fest in ihren Rahmen preßte, während der Arzt beide Laternen hielt.
    Plötzlich hielt Wallis inne. Eine Hälfte seines Gesichts war naß geworden.
    Rings um die Tür trat Wasser aus, nicht bloß Feuchtigkeit oder ein langsames Tröpfeln oder auch ein Oberlaufen am unteren Rand – dies war das feine, nebelartige Sprühen unter Druck stehenden Wassers.
    Wallis drehte das Handrad zurück, bis das Sprühen aufhörte. Lange lehnte er mit der Stirn am kalten Metall der Tür, hörte sein eigenes lautes Atmen und noch andere Geräusche, die ihm zuvor entgangen waren: das metallische Knirschen, Kratzen und Auseinanderschlagen losgerissener Platten, die Todeslaute des gemordeten Schiffes. Dann wandte er sein Gesicht dem Marinearzt zu.
    »Sie brauchen mir nichts zu erklären«, sagte Radford rauh. »Wenn dieses Schiff mit dem Bug höher liegt, dann kann ich nur sagen, daß das Heck verdammt tief unten ist! Das Wasser hier stand unter Druck! Wir sinken nicht, verdammt nochmal, wir sind gesunken! Und – und …« Er wurde von einem anhaltenden, metallisch dröhnenden Krachen unterbrochen, das Minuten anzudauern schien und die Wände des Tanks wie eine geborstene Glocke klingen ließ, und als es endlich aufhörte, schien der Boden unter ihnen zu torkeln. »Hören Sie?« fragte der Arzt. »Wir sinken tiefer. Das Schiff fängt an zu brechen! Je tiefer wir sinken, desto stärker wird der Druck! Die Hülle kann jeden Augenblick nachgeben, und dann werden die Wände eingedrückt – man kann die Geräusche schon hören.«
    Radford hatte eine der Notlaternen fallen lassen; sie lag auf den Eisenplatten und warf ihren Lichtkegel zur Decke. Das von unten kommende Licht gab den Zügen des Arztes ein schreckenerregendes Aussehen. Er glich einer Gestalt aus einem Gruselfilm, und erst später begriff Wallis, daß es an der Beleuchtung gelegen hatte und daß sein eigenes Gesicht genauso furchtbar ausgesehen haben mußte. Aber in diesem Moment war er über das dämonische Aussehen des Arztes und das, was der Mann anstellen würde, wenn er, wie es den Anschein hatte, nicht mehr bei Sinnen war, so entsetzt, daß er an nichts als die Notwendigkeit denken konnte, ihn auf irgendeine Weise zu beruhigen.
    »Ich – ich bin anderer Ansicht, Doktor«, sagte Wallis mit erzwungener Ruhe. »Diese Tür hier ist am Grund des Zwischenschotts. Angenommen, das Schiff wäre völlig unbeschädigt an der Oberfläche, hätte aber hier im Zwischenschott einen Wassereinbruch, dann wäre der Druck auf diese Tür schon beträchtlich. Und wir sinken nicht! Oder, wenn wir sinken, dann nur sehr langsam. Das Schlingern und Rollen hat nicht nachgelassen. Wären wir untergegangen, hätten die Wellenbewegungen keine Wirkung mehr auf das Schiff. Ich vermute, daß wir völlig überspült werden – vielleicht so, daß nur noch Brückenhaus und Achteraufbau aus der See ragen. Diese Tanker sind schwer zum Sinken zu bringen, müssen Sie wissen. Wir könnten ewig so weitertreiben.«
    Das klang gut, dachte Wallis, so außerordentlich vernünftig und logisch, daß er selbst daran zu glauben begann. Als er weitersprach, war seine Stimme gefaßt und von ruhiger Zuversicht erfüllt.
    »Was diese Geräusche anbelangt«, sagte er, »so denke ich, daß Sie auch hier irren. Natürlich brechen Teile des Schiffes auseinander. Das Heck ist getroffen, und der erste Torpedo hat wahrscheinlich den halben Bug weggerissen. Was wir hören, sind lose Platten, Spanten und Ankerketten, die von den Wellen hin und her geschlagen werden. Einzelne Teile brechen ab, und das ist gut so, denn je mehr vom Seegang mitgerissen wird, desto stärker wird unser Auftrieb.«
    Sie schwiegen und lauschten. Das Schiff schlingerte, und die Notlaterne rollte klappernd über den geneigten Boden. Das Gesicht des Arztes veränderte sich mit dem Fortfall der krassen Beleuchtung; das verrückte Glitzern verlor sich aus seinen Augen, und seine Züge wurden weicher, bis es wieder die Züge des etwas sturen, aber fähigen Schiffsarztes wurden, den alle gekannt aber nicht eben geliebt hatten.
    »Wenn Sie glauben,
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