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Gefangene des Meeres

Gefangene des Meeres

Titel: Gefangene des Meeres
Autoren: James White
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unverzüglich in Angriff nehmen möchte. Bitte kommen Sie mit mir.«
    Sein Quartier und die der Mannschaft zusammen mit den anschließenden Kälteräumen hielten sie nicht lange auf, obwohl Deslann namentlich die Kühlanlagen und ihre angeschlossenen Zeitmesser besonders gründlich prüfte. Die Nachrichtenzentrale, eingebaut in die Mitte eines Elektronenrechners, der sich über fünf Deckebenen erstreckte, erforderte die längste Zeit, obgleich Deslann mangels spezialisierter Kenntnisse nicht mehr als eine oberflächliche Überprüfung der Funktionstüchtigkeit vornehmen konnte.
    Von dieser Nachrichtenzentrale wurden die errechneten Kurskorrekturen an mehr als achthundert Schiffe gesendet, einschließlich der fünfzig Schiffe in der Vorausabteilung, die unbemannt waren und darum ferngesteuert werden mußten.
    Bevor er seinen Rundgang fortsetzte, plauderte Deslann mit den diensttuenden Offizieren, doch er tat es nur kurz und der Höflichkeit halber, denn er wollte keine starken persönlichen Eindrücke von ihnen empfangen, solange er noch keine Gelegenheit hatte, ihre Beurteilungen im Logbuch zu lesen. Überdies fühlte er sich irritiert, weil Gerrol ständig auf ihn einredete, und zwar in einer Weise, als wäre er ein unreifer Kadett.
    Aber im Passagierraum verstummte auch Gerrol. Es war ein Ort der Stille, wo Schweigen angezeigt erschien.
    Weil die Rechenanlage viel Platz einnahm, beförderte Deslanns Schiff statt der üblichen fünfhundert nur zweihundert Passagiere. Während er langsam an den Reihen der Eisboxen vorbeitauchte und die Kälteausstrahlung fühlte, wurde Deslann von einigen höchst beunruhigenden Gedanken geplagt. In einer Weise waren alle diese Leute tot. Vor zehn Jahren waren sie willig, ja, sogar begierig an Bord gekommen und gestorben. Das Leben hatte damals für sie aufgehört, und im Falle einer unvorhergesehenen Katastrophe, wenn die Wiederbelebungsapparate ausfielen, würden sie tot bleiben. Sie selbst konnten nicht wissen, wann ihr zeitweiliger Tod zu einem immerwährenden würde.
    Aber waren sie in ihrem Kälteschlaf wirklich physiologisch tot? War es nicht möglich, daß sie träumten, obwohl alle ihre Lebensfunktionen angehalten waren? Und wenn es zehn Tage dauerte, daß sich ein einziger Gedanke oder ein Bild formte und wieder auflöste, irgend etwas mußte im ausgekühlten Unterbewußtsein dieser gefrorenen Gehirne vor sich gehen, unendlich langsam und schwach zwar, aber es mußte da sein – etwas, das die Verbindung zwischen einem nach außen hin toten Körper und der lebenden Seele herstellte.
    »Dieser Offizier, der sich nicht tiefkühlen lassen will«, sagte Deslann plötzlich, aus seinen Gedanken auffahrend, »hat er, meinen Sie, religiöse Gründe?«
    »Nein, Kapitän«, sagte Gerrol. »Soweit wir es uns zusammenreimen können – er hat uns seine Gründe nicht genannt, wissen Sie –, möchte er eine private Forschungsarbeit abschließen. Er ist der medizinische Offizier.«
    Wenn das alles ist…, dachte Deslann und setzte seine Inspektion erleichtert fort. Es sah aus, als sollte er doch noch Gesellschaft bekommen, wenn auch nur für eine gewisse Zeit. Sollte sich herausstellen, daß der medizinische Offizier ein unangenehmer Typ war, konnte Deslann ihm immer noch unter Hinweis auf die wertvolle biologische Zeit – die am Ende der Reise noch weitaus wertvoller sein würde als jetzt – Befehl geben, sich wie die anderen einfrieren zu lassen. Aber das, so sagte sich Deslann, hatte Zeit, bis er den Mann besser kennengelernt und die persönliche Charakteristik im Kapitänslogbuch studiert haben würde.
    Das Kapitänslogbuch war, wie der Name sagte, nur den Schiffskapitänen zugänglich und enthielt in seinem Personalteil neben Notizen und Bemerkungen über die Offiziere und die ihnen erteilten Befehle eine vollständige und detaillierte Persönlichkeitsskizze jedes Besatzungsmitglieds, ausgearbeitet von einem Psychologenteam. Diese Leute hatten sich nicht einmal gescheut, Empfehlungen für den Fall auszuarbeiten, daß die Schiffsoffiziere Symptome geistiger Zerrüttung zeigten, aber wo Kapitän Gunt seine Bemerkungen hinzugefügt hatte, gab es wohltuenderweise keine persönlichen Kommentare oder Ratschläge, sondern nur die bloßen Tatsachen.
    Was den medizinischen Bordoffizier anging, dessen Persönlichkeitsskizze Deslann nach seiner Inspektion als erstes vornahm, so waren die Angaben mehr als zufriedenstellend. Bei der Lektüre begann der Kapitän zum erstenmal die Weisheit jener
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