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Gefangen in der Wildnis

Gefangen in der Wildnis

Titel: Gefangen in der Wildnis
Autoren: Sandra Brown
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angefangen vom Rollkragen seines Thermopullovers bis zu den Schnürsenkeln seiner schweren Stiefel.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung beugte sie sich über ihn und schlug ihm wieder vorsichtig auf die Wangen. Sie schätzte ihn auf ungefähr vierzig, aber das Leben konnte es nicht allzu gut mit ihm gemeint haben. Sein recht langes, lockiges Haar war von einem warmen Braun. Seine gebräunte Haut wirkte wie jahraus, jahrein von der Sonne verbrannt. Um seine Augen hatten sich feine Linien eingegraben. Sein breiter Mund war schmallippig, die Unterlippe nur unwesentlich voller als die Oberlippe.
    Kein Gesicht, das in ein Büro gehörte. Dieser Mann verbrachte den Großteil seines Lebens an der frischen Luft. Ein ansprechendes Gesicht, vielleicht sogar ein klassisch schönes. Es strahlte Härte aus, eine kompromisslose Unnahbarkeit, die sie auch schon in seinem Wesen bemerkt hatte.
    Mit einem mulmigen Gefühl fragte sie sich, wie er wohl reagieren würde, wenn er wieder zu sich kam und feststellen musste, dass er allein mit ihr in der Wildnis war. Sie brauchte nicht lange zu warten. Schon wenig später flatterten seine Lider, und er schlug die Augen auf.
    Augen, so stahlgrau wie der Himmel über ihnen. Diese Augen schlössen sich jetzt, um gleich darauf wieder aufzugehen. Sie wollte etwas sagen, wagte es vor Aufregung aber nicht. Und dann kam das erste Wort über seine Lippen - unglaublich vulgär. Sie zuckte zusammen, schob diese Ausdrucksweise aber auf seine Schmerzen. Wieder schloss er die Augen und wartete mehrere Sekunden, bevor er sie erneut öffnete.
    „Wir sind abgestürzt." Sie nickte stumm. „Wie lange ist das her?"
    „Ich bin nicht sicher." Ihre Zähne klapperten. Kalt war ihr nicht, also musste es aus Angst sein. Vor ihm? Wieso? „Eine Stunde vielleicht."
    Stöhnend tastete er mit der Hand nach der Beule an seinem Kopf und setzte sich auf. „Was ist mit den anderen?
    „Alle tot."
    Auf ein Knie gestützt, versuchte er aufzustehen und schwankte. Sie wollte ihn halten, doch er wehrte ihre ausgestreckte Hand ab. „Sind Sie sicher?"
    „Sicher, dass sie tot sind? Ja. Ich meine, ich glaube es."
    Er drehte den Kopf und sah sie an. „Haben Sie ihren Puls geprüft?"
    Sie hatte sich geirrt. Was seine Augen betraf. Sie waren nicht grau wie der Himmel, sie waren viel härter, viel düsterer und drohender. „Nein, das nicht", gestand sie gepresst.
    Sein Blick hielt sie für mehrere Sekunden gefangen, dann erhob er sich unter großer Anstrengung. Den Baum hinter sich benutzte er als Stütze, bis sich sein Gleichgewichtssinn einigermaßen stabilisiert hatte.
    „Wie ... wie fühlen Sie sich?"
    „Als müsste ich gleich kotzen."
    Nun, eine undeutliche Ausdrucksweise konnte man ihm sicherlich nicht vorwerfen. „Vielleicht sollten Sie sich dann besser wieder hinlegen?"
    „Ganz bestimmt."
    „Also?"
    Er hielt sich immer noch den Kopf und warf ihr einen abschätzigen Blick zu. „Dann erklären Sie sich also dazu bereit, wieder ins Flugzeug zu klettern und bei den anderen den Puls zu fühlen?" Er sah, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich, und lächelte verächtlich. „Das dachte ich mir."
    „Ich habe Sie da rausgeholt, oder nicht?"
    „Stimmt", erwiderte er trocken. „Sie haben mich da rausgeholt."
    Sicher erwartete sie nicht, dass er vor ihr auf die Knie fiel, weil sie ihm das Leben gerettet hatte, aber ein Dankeschön wäre doch eigentlich ganz nett gewesen. „Sie sind ein undankbarer ..."
    „Sparen Sie sich das", schnitt er ihr das Wort ab.
    Sie sah ihm zu, wie er sich schwankend von dem Baumstamm abstieß und auf das Wrack zustolperte. Die Äste drückte er mit einer Kraft aus dem Weg, die sie nie haben würde.
    Sie ließ sich auf dem morastigen Boden nieder und legte den Kopf auf die angezogenen Knie. Sie war versucht, die Tränen laufen zu lassen. Sie hörte, wie er sich in der Kabine bewegte. Als sie aufsah, erblickte sie ihn durch das glaslose Fenster des abgetrennten Cockpits. Völlig emotionslos befühlte er die Körper der beiden Piloten.
    Minuten später bahnte er sich seinen Weg durch den umgestürzten Baum zurück. „Sie hatten Recht. Sie sind alle tot."
    Was sollte sie darauf erwidern? Etwa: „Ich habe es Ihnen doch gesagt"?
    Er ließ einen Erste-Hilfe-Kasten auf den Boden fallen und kniete sich hin. Einem Röhrchen Aspirin entnahm er drei Tabletten und warf sie sich in den Mund, schluckte sie ohne Wasser. „Kommen Sie her", befahl er barsch und drückte ihr eine Taschenlampe in die Hand.
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