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Gefaehrliche Versuchung

Gefaehrliche Versuchung

Titel: Gefaehrliche Versuchung
Autoren: Eileen Dreyer
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geschworen, dass sie sich niemals einem anderen Menschen so schutzlos ausliefern würde. Nie wieder wollte sie dieses Gefühl der Hilflosigkeit, der Machtlosigkeit erleben.
    Sie hätte es besser wissen müssen. Noch nie hatte sie Glück gehabt. Warum sollte es ausgerechnet jetzt beginnen?
    »Bitte«, flüsterte sie laut und wusste, dass es ein Gebet war, das niemand hören würde.
    Zurück im Inn, fingen die Menschen allmählich an, zu begreifen, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Stallburschen hatten mit Sicherheit schon häufig Kutschen mit überhöhter Geschwindigkeit durch den Torbogen jagen sehen. Es gab eine ganze Generation von jungen Männern, die gar nicht anders fahren wollten. Die Umstehenden waren nicht einmal besonders überrascht, eine ältere Dame im Hof stehen zu sehen, die die Hand noch immer ausgestreckt hielt, den Mund geöffnet hatte und verwirrt vor sich hin murmelte. Offensichtlich hatte die junge Lady sie mitten im Gespräch stehen lassen und war abgefahren. Verstörend selbst für Menschen, die nicht verrückt waren, wie es die alte Dame zu sein schien.
    Einige Leute runzelten die Stirn, als die alte Dame sich hin und her drehte und »Sabinerinnen!« rief, während sie noch immer auf die davonfahrende Kutsche zeigte. Andere schüttelten den Kopf und bedauerten es offenbar, so etwas Bemitleidenswertes in der Öffentlichkeit miterleben zu müssen.
    Doch als sie zu singen begann, blieben alle stehen und starrten sie an. Grund dafür war nicht nur das Lied »Cherry Ripe«, das sie sang und das man aus dem Mund einer so würdigen alten Dame niemals hören sollte. Der Grund war auch nicht, dass sie den falschen Text sang. Der Grund war, dass das Lied, das sie eigentlich nicht kennen sollte und das sie mit anderem Text sang, aus ihrem Mund wunderschön klang.
    »Thrasher, komm!«, sang sie, den Kopf in den Nacken gelegt und die Arme ausgebreitet. »Thrasher, komm! Lady Kate, folge ihr! Die Kutsche hat sie! Folge ihr, Thrasher, komm!«
    Und als würde das alles einen Sinn ergeben, kam plötzlich eine bunt gemischte Schar von Männern in rot-goldenen Livreen aus Richtung der Stallungen um die Ecke gerannt und lief zu der alten Dame.
    »Dort entlang, sage ich!«, sang sie und wies zu der Straße, auf die die Kutsche gerade eingebogen war. »Vier braune Pferde, ein fremder Kutscher. Folge ihr, Thrasher, lauf!«
    Und tatsächlich reagierte ein junger Mann aus der Gruppe. Ohne anzuhalten, winkte der dünne Junge mit den scharf geschnittenen Gesichtszügen der alten Dame zu und rannte hinter der Kutsche her wie ein Hase beim Knall eines Gewehrs. Was die alte Dame betraf, stand sie einfach nur da. Tränen liefen ihr über die Wangen, während die anderen Männer sich um sie scharten wie ihre eigene, bunt zusammengewürfelte Armee. Es schien, als wäre sie fertig mit ihrem Lied. Die Leute, die stehen geblieben waren, um ihr zuzuhören, widmeten sich wieder ihren Angelegenheiten.
    »Tja«, brummte der Stallmeister des Inns und ging zurück zum Stall, »was für eine Aufregung.«
    Fieberhaft untersuchte Kate die Kutsche. Nicht, um zu fliehen – sie wusste, dass die Kutsche zu stabil gebaut war, um sie auseinanderzunehmen. Sie suchte nach Waffen. Es war fast unmöglich, und sie wusste, dass sie von Kopf bis Fuß lädiert sein würde, wenn sie es versuchte. Aber obwohl sie hin und her geschleudert wurde, durchwühlte sie die Polster und Staufächer in der Seite, riss und zerrte, bis das Innere der Kutsche aussah, als wäre ein wildes Tier darin gefangen gewesen.
    Gar nicht so abwegig , dachte sie und wurde immer verzweifelter, als sie noch nicht einmal eine rostige Sprungfeder lösen konnte, mit der sie sich hätte verteidigen können. Ihr blieben nur drei Hutnadeln und ihre Schuhe. Andererseits hatte sie die Hutnadeln schon mehr als ein Mal mit durchschlagender Wirkung eingesetzt.
    Wenn sie doch nur ein kleines Loch oder einen Schlitz in die Kutsche hätte machen können, um das Tageslicht zu sehen. Die Wände des Gefährts schienen immer näher zu rücken. Die Sicht auf die Sonne war versperrt, und zurück blieben nur Schatten und das Gefühl der Geschwindigkeit, mit der sie über die Straßen jagten. Selbst die Vorstellung, sich vor die Räder zu werfen, erschien ihr reizvoller, als sich der Dunkelheit zu ergeben.
    Bastard, sagte sie sich immer wieder, auch wenn von allen Beleidigungen, die sie ihrem Bruder ins Gesicht schleudern wollte, das sicherlich die einzige war, die nicht der Wahrheit entsprach. Edwin
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