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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum
Autoren: Stanislaw Lem
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dem ganzen Reichtum ihres Herzens und ihres Gemüts durch eine ungewöhnliche Zerstreutheit aus, die ihr besonders im Alltag mit seinen Kleinigkeiten sehr zu schaffen machte und zusetzte. Der Großvater behauptete – ich weiß nicht, ob er sie nur trösten wollte oder ob er tatsächlich guten Glaubens war – ‚ daß die Zerstreutheit, an sich keine Tugend, die Begleiterscheinung eines, und zwar eines bedeutenden künstlerischen Talents sei. So erwarteten meine Großeltern bei ihren Kindern Anzeichen ungewöhnlicher Begabungen, und als die Wirklichkeit diese Hoffnungen nicht erfüllte, änderte mein Großvater seine Theorie: Nicht die Kinder, sondern die Enkelkinder würden große Künstler sein.
    Meine Schwestern machten diese Erwartungen zunichte, und mein Bruder zeigte bereits als Kind eine Vorliebe für technische Dinge. Wohl noch heute steht das Luftbett, seine Erfindung, auf dem Dach unseres Hauses: Ein System starker Ventilatoren erzeugte einen Luftstrom, der so kräftig war, daß er ohne weiteres den Körper eines Menschen trug. Ich war das Versuchsobjekt meines Bruders, wenn auch widerwillig; denn es war schwierig, nur an das Ausruhen und nicht an das Atmen zu denken, wenn man einen Meter über dem flachen Dach in den Armen eines Luftstromes hing, der einen mit Orkanstärke umbrauste. Ähnliche Geschichten wie das Luftbett deuteten darauf hin, daß mein Bruder ein Erfinder würde. Die von neuem enttäuschte Großmutter kam zu dem Schluß, daß – diesmal aber ganz gewiß – das jüngste von uns Kindern, also ich, ein Künstler würde. Deshalb ging mir so manches Stückchen glatt durch, für das meine Geschwister gerügt wurden. Ich muß gestehen, daß ich meinen Eltern so manchen Ärger bereitet habe. Ich selbst kann mich nicht auf den ersten Besuch im Spielwarenhaus erinnern, das ich zusammen mit ihnen besuchte, als ich drei Jahre alt war; es wurde mir aber oft erzählt.
    Verwirrt und verblüfft von der Vielfalt der Schätze, die mein sein konnten, lief ich durch den Spiegelsaal, griff blindlings nach Modellen von Raketenflugzeugen, Ballons, Radiokreiseln und Puppen. Ich mochte mich von keinem dieser schönen Dinge trennen und raffte immer mehr Spielsachen an mich, bis ich derart bepackt war, daß ich schreiend und weinend vor Zorn mit der ganzen Last hinfiel. Meine Großmutter murmelte etwas von einer impulsiven Künstlernatur, die Ansicht meines Vaters über diese Angelegenheit war aber bedeutend wirklichkeitsnaher. „Der Junge ist verwildert, er ist im Walde aufgewachsen“, sagte er. Dann wandte er sich an mich und fuhr halb im Ernst, halb im Scherz fort: „Wenn du im Altertum zur Welt gekommen wärst, dann wäre sicherlich ein Pirat, ein Räuber oder ein Konquistador aus dir geworden.“
    Wie ich bereits erwähnte, waren meine Geschwister älter als ich. Als ich eben begann, buchstabieren zu lernen, beendeten meine beiden Schwestern ihr meteotechnisches Studium. Hin und wieder erzählte mir Uta, die ältere, in einer Anwandlung von Großmut von den Wundern ihres Berufes. Ich verstand so viel, daß es an ihr allein lag, was für Wetter war, wenn sie in der örtlichen Wetterwarte Dienst hatte.
    „Und was wäre, wenn du nicht hingingest?“ fragte ich.
    „Dann hätten wir kein Wetter.“
    Ich weiß nicht, weshalb ich das so auffaßte, als hinge von Uta nicht nur das Wetter, sondern überhaupt das Bestehen der ganzen Welt ab. Überzeugt, daß mit der Welt etwas Furchtbares geschähe, wenn Uta nicht wäre, empfand ich vor meiner Schwester unbegrenzte Hochachtung. Eines Tages schenkte sie mir den „Jungen Meteotechniker“, ein kleines Gerät, mit dessen Hilfe ich die Bewegungen kleiner Wolken lenken konnte. Ein dunkler Verdacht stieg in mir auf. Bei nächster Gelegenheit fragte ich sie hinterlistig aus, ob außer den Bewegungen der Wolken und den Windrichtungen noch etwas von ihr abhinge. Sie erkannte nicht gleich die Tragweite dieser Frage und verneinte. Dadurch verloren sie und unsere Schwester Lydia in meinen Augen die Aureole der Macht. „Sooo?“ fragte ich gedehnt. „Und weißt du was? Die Meteotechnik ist völlig überflüssig. Na, vielleicht ist sie für euch Frauen notwendig“, fügte ich herablassend hinzu; „aber wir Männer brauchen Gewitter, Orkane, wilde Stürme und nicht so ein künstliches, zuckersüßes Klima.“
    Uta runzelte die Brauen und antwortete lakonisch: „Paß auf, du verlierst deine Hosen.“
    Das konnte ich ihr lange nicht vergessen.
    Mein Bruder sah
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