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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof
Autoren: Christine Lehmann
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Waage zu stellen, die mithilfe von elektrischem Strom die Verteilung von Fett und Muskeln maß. Beim weiblichen Körper sollten 25 Prozent aus Muskeln und 25 Prozent aus Fett bestehen, während Männer sich auf 40 Prozent Muskeln und 10 Prozent Fett hochpäppeln mussten. »Irgendwann muss man ja mal anfangen, was zu tun, nicht«, nudelte Fritz seine Geschäftsanbahnung herunter.
    »Sind Sie der sportliche Leiter hier?«, störte ich. »Staatlich geprüfter Sportlehrer?«
    Er blinzelte. »Und wer bist du?« Seine Stimme war wie flüssige Schokolade.
    »Lisa Nerz. Ich war zum Judo bei Ihrer … äh, deiner Frau.«
    »Hallo, Lisa, freut mich. Ich bin der Fritz.« Er quetschte mir die Handknochen zusammen. Zu viel Kraft beim Händedruck war als Dominanzgeste kalkuliert, aber die Fältchen um Fritz’ Augen verrieten, dass er nervöser war, als er aussehen wollte. »Aber, wenn du mir die Bemerkung erlaubst, ich glau be, Judo ist nichts für dich. Du solltest Ausdauersport machen, Quickstepp, Laufband, den Puls nie über 120. Und dazu eine kleine Ernährungsumstellung. Dann siehst du die ersten Ergebnisse schon nach drei Wochen.«
    Seine dunklen Augen schälten mir fünf, sechs Kilo meiner Selbstsicherheit vom Leib, und ich blickte zu ihm auf wie eine siebzehnjährige Schülerin zu ihrem ersten Mann. »Aber Diäten sind nicht mein Ding!«
    Unter Fritz’ Schnauzer blitzte ein Lächeln. »Wer redet denn vom Hungern? Wir kurbeln nur deinen Stoffwechsel ein wenig an. Das ist kein Hexenwerk. Viel Fisch, Fleisch, Gemüse, wenig Kohlehydrate.«
    »Ach!« Der Gedanke war im vergangenen Jahrhundert brandneu, und es dauerte danach noch Jahre, bis die Krankenkassen und Frauengazetten aufhörten, Anti-Fett-Kampagnen auszurufen. »Und ich dachte immer, viele Kohlehydrate, kein Fett!«
    »Das war vielleicht für den Steinzeitmenschen richtig, der täglich vierzig Kilometer zu Fuß zurückgelegt hat«, belehrte mich Fritz. »Aber bei uns führt das nur noch direkt zur Diabetes, der Schokoriegelkrankheit, wie ich immer sage. Denn ganz verheerend: die Kombination von Fett und Kohlehydra ten, sprich Zucker!« Er dehnte die Brust.
    Aber ein bisschen schien er sich mit mir zu langweilen, denn seine Augen unter den langen Wimpern rutschten zu der Kuh hinüber, die in trotziger Teeniepose mit eckig vorgeschobener Hüfte hinter der Bistro-Bar darauf wartete, dass ich mein Glas leerte.
    Richtig, sagte ich mir, es geht um Schönheit! Ich schwang mich in den siebten Himmel: ich eines Tages schön, blond, jung und narbenfrei. Hoffnungsvoller hätte ich Fritz Schillers Diagnose, »Schokoriegelfigur«, und die Erklärung meines völligen physiologischen Bankrotts kaum entgegennehmen können.
    Seine Hand lag warm und schwer auf meiner Schulter, sein Atem ging mir ins Ohr. »Ich habe schon viele Frauen glück lich gemacht. Dich kriegen wir auch hin!«
    Noch ein kurzer Händedruck, dann hatte er sich von mir gelöst und abgewandt. In der Linie seines Nackens kurvte eine Selbstsicherheit in seine Schultern hinab, die in mir eine närrische Mischung aus Grimm und Gier zum Schwingen brachte. Das musste es sein, was auch Sally benagte: Schlank werden ist unvernünftig, aber einfach zu schön!
    Durfte man sich auf Schiller einlassen oder nicht? Das war die entscheidende Frage, die ich Sally beantworten musste. Womöglich hatte sie sich in ihn vergafft. Er war so einer. Und Sally war so eine, die sich immer in die Männer verguckte, die sie eigentlich nicht riechen konnte.
    Ich bezahlte bei der jungen Kuh meinen Saft mit sechs Mark fünfzig und schulterte meine Sporttasche. An der Trep pe stieß Fritz soeben mit Vicky zusammen, die herabschusselte, aufschreckte, auflächelte und ihr Herz hingab. Auch so eine. Wahrscheinlich hatte ich Fritz eben genauso vertrauensinnig angelächelt wie sie – und wie Sally.
    Ihr Sieg über mich hatte Vickys Selbstvertrauen so gefestigt, dass ich nicht einmal in den Genuss eines eifersüchtigen Blicks kam, als Fritz sein Lächeln teilte. Ich blieb stehen.
    »Also gut, ich mach’s«, sagte ich zu ihm. »Wann fangen wir an?«
    »Am Montag, wenn du willst«, antwortete er. »Ich bin hier.«
    Nun wurde Vicky doch etwas missgünstig. »Ich war ja frü her auch so fett wie ein Walross. Aber Fritz, der versteht sei’ Sach’, gell?«
    Ich fand, dass das Auch bei meinen siebzig Kilo Kampf gewicht gewiss nicht angebracht war. Aber solche Nadelsti che würden mich bald nicht mehr treffen, wenn ich, perfekt bis in die Titten, im
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