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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof
Autoren: Christine Lehmann
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Elektrolytgetränken.
    Noch ein Stockwerk weiter oben, unter den gekalkten T-Trägern des Hallendachs, bestimmten die Farbe Weiß und die Kirschblüte mit japanischer Kalligraphie die Philosophie. Obgleich das Gewummer der Aerobicstunde heraufdrang, ließ man jegliche Hektik unter sich zurück. Die drei mit Matten ausgelegten Trainingsräume besaßen Glastüren, die im Mo ment alle offen standen. An einer kurzen Getränketheke lehn te ein ungefähr dreißigjähriger Mann im Karateanzug mit dem schwarzen Gürtel des Meisters. Sein Gesicht war bemerkens wert zerklüftet und entstellt von einer einstigen Pubertätsak ne. Er musterte mich durch eine Stahlbrille.
    Katrin Schiller stand in weißem T-Shirt und Judohose am Spülbecken hinter der Bar und säuberte Gläser.
    »Guten Abend«, meldete ich mich, »ich heiße Lisa Nerz. Ich komme zum Probetraining.«
    Katrin Schiller blickte auf, zog die Hand aus dem Spülwasser und kam an die Theke. Die Sehnen ihrer kräftigen Hände wurzelten in prallen Unterarmmuskeln unter glatter gebräunter Haut. Am Haken hinter ihr hing über der Judojacke ein rotweißer Gürtel. »Freut mich«, sagte sie. »Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?«
    Mein Gesicht vergaß man leider nicht. »In Pforzheim bei den Landesmeisterschaften«, schlug ich vor. »Ich war für den Stuttgarter Anzeiger dort: Mädchen und Kampfsport, eine Reportage.«
    Katrin Schiller war das, was Journalisten gemeinhin als zierliches Persönchen beschrieben, dem man all das nicht zutraute, was es verkörperte. Ihre Augen waren blau, die rotblonde Mähne zu einem Zopf geflochten, der ihr bis zum Po baumelte.
    »Und nun wollen Sie es auch mal mit dem Judo versuchen?«
    »Ich bin mit meinen Versuchen bereits bis zum braunen Gürtel vorgedrungen«, antwortete ich und zückte das blaue Mitgliedsheft des Württembergischen Judoverbands.
    Sie lachte wieder und duzte: »Dann zieh dich mal um.«
    In der Umkleide fluchte eine kompakte Brünette, weil sich das Band ihrer Judohose im Hohlsaum so verschlungen hatte, dass es sich nicht herausziehen ließ. Auf dem weißen Kimono lag der Gelbgurt der Anfänger. Judoanzüge besaßen weder Haken noch Knöpfe, nichts, was den Gegner verletzen konnte.
    Als ich nackt bis auf den Schlüpfer dastand, riss eine langgliedrige Blonde die Tür auf und grüßte munter, während die Kompakte aus dem Augenwinkel meine Titten und Schenkel abschielte, offensichtlich zufrieden, dass auch ich nicht zu den Grazilen gehörte.
    Ihr Kimono war eine zerknautschte Billigvariante, nicht zu vergleichen mit meinem Competition, einem teuren Kampfex emplar, dessen Verstärkungen an Schultern, Brust und Rücken dazu dienten, dem Gegner das Fassen zu erschweren.
    Die lange Blonde schlang sich einen Orangegurt um die Hüften. Sie gehörte zu den Eleganten.
    Im Dojo kickten schon ein paar Jungs mit einem weichen Ball. Sie trugen blaue, grüne und braune Gürtel. Ein massiger Schwarzgurt zog sich in einer Ecke die Socken von den Fü ßen. Er war auch schon über dreißig, nicht groß, aber breit, mit kurzen Haaren und dickem Hals, im Judoanzug eine lächelnde Kampfmaschine und in Zivil vermutlich ein unangreifbares Phlegma.
    Ich verbeugte mich in der Tür.
    Nur Unwissende lachten über den Verbeugungsernst der fernöstlichen Ritter, der dem Training ein meditatives Korsett verlieh. Hing im Dojo das Bild des Judogründers Kano, dann verbeugte man sich sogar vor dem leeren Saal. Ansonsten: Verbeugung voreinander, Abknien und Verbeugen vor dem Meister zu Beginn und zum Schluss des Trainings, Verbeugung voreinander vor und nach jeder Trainingseinheit. Auf diese Weise erkannte man die Regeln an, erwies dem Gegner Respekt und beendete jedwede im Kampf entstandene Feindseligkeit. Obgleich man die Gürtelfarben durch Prüfungen erwarb, waren sie weniger Trophäen als vielmehr Ausdruck der Offenheit dem Gegner gegenüber. Ich durfte nicht nur Braun tragen, der letzte Grad vor dem Dan – dem Schwarzgurt –, ich musste sogar, damit die Gelb- oder Orangegurte wussten, mit welchen Fähigkeiten sie bei mir zu rechnen hatten und wie sie mich behandeln mussten. Der rotweiße Gürtel, mit dem Katrin die Matte betrat, verbot es uns beispielsweise, sie zu werfen. Sie war eine Meisterin so hohen Grades, dass sie sich keinem Kampf mehr stellen musste.
    Budo ist das japanische Wort für den »militärischen Weg«.
    Ju-do heißt »der sanfte Weg«. Ju bedeutet »nachgeben«. Man unterläuft die Kraft des Gegners und nutzt sie für
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