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Gabriel Labert

Gabriel Labert

Titel: Gabriel Labert
Autoren: Alexandre Dumas
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ging es mir während des ganzen Abends und während eines Teils der Nacht.
Nur war es seltsamerweise nichts Abstraktes, nicht ein Ton ohne Körper, was mich floh, sondern ein Mensch, den ich fünf bis sechs Stunden unter den Augen gehabt, den ich mit dem Blick hatte befragen können, den ich mit der Hand zu berühren imstande gewesen wäre.
Diesmal gab es wenigstens keinen Zweifel für mich: Es war weder ein Traum, den ich gehabt, noch ein Gespenst, das mir erschienen: Ich war mir der Wirklichkeit sicher und erwartete den Morgen voll Ungeduld.
Schon um sieben Uhr war ich an meinem Fenster, um die Barke kommen zu sehen.
Ich erblickte sie, als sie aus dem Hafen herausfuhr, einem schwarzen Punkt ähnlich; je näher sie kam, desto deutlicher wurde ihre Form.
Anfangs sah sie aus wie ein großer Fisch, der auf der Oberfläche des Meeres schwamm; das Ungeheuer schien mit Hilfe seiner zwölf Füße auf dem Wasser zu marschieren.
Dann unterschied man die Menschen und endlich die Züge ihrer Gesichter.
Doch bis zu diesem Punkt gelangt, suchte ich vergebens Gabriel Lambert; er fehlte, und zwei andere Sträflinge hatten ihn und seinen Gefährten ersetzt.
Ich lief zum Ufer.
Die Galeerensklaven glaubten, ich hätte Eile, mich einzuschiff en, und sprangen ins Wasser, um die Kette zu bilden; doch ich gab ihrem Wächter durch ein Zeichen zu verstehen, er möge zu mir kommen, damit ich allein mit ihm sprechen könnte.
Er kam. Ich fragte ihn, warum Gabriel Lambert nicht mitgekommen wäre.
Er antwortete mir, Lambert habe vom Dienst freigesprochen zu werden verlangt, da er von einem heftigen Fieber befallen wäre, was ihm auch auf ein ärztliches Zeugnis hin bewilligt worden sei.
Während ich mit dem Aufseher sprach, über dessen Schulter ich die Barke und die Leute, mit denen sie bemannt war, sehen konnte, zog einer von den Galeerensklaven einen Brief aus der Tasche und zeigte ihn mir.
    Es war der, den ich unter dem Namen Rossignol kennengelernt hatte. Ich begriff, daß es Gabriel möglich geworden war, mir zu schreiben, und daß es Rossignol übernommen hatte, sein Bote zu sein. Ich erwiderte mit einer Gebärde des Einverständnisses das Zeichen, das er mir machte, und dankte dem Aufseher.
»Wünschte ihn der Herr vielleicht zu sprechen?« fragte mich der Aufseher. »In diesem Fall würde ich ihn selbstverständlich, krank oder nicht krank, morgen kommen lassen.«
»Nein«, erwiderte ich, »es ist mir gestern nur sein Gesicht aufgefallen, und als ich ihn heute nicht unter seinen Kameraden sah, erkundigte ich mich nach der Ursache seiner Abwesenheit. Es scheint mir, dieser Mensch steht über denen, mit welchen er zusammen ist.«
»Ja, ja«, sagte der Aufseher, »es ist einer von unseren Herren; er mag machen, was er will, man sieht es sogleich.«
Ich wollte meinen braven Aufseher fragen, was er unter den Worten »unsere Herren« verstünde, als ich Rossignol sah, der, während er zugleich seinen Kettengefährten nach sich zog, einen Stein aufhob und den Brief, den er mir gezeigt hatte, unter diesem Stein verbarg.
Von nun an hatte ich, wie man leicht begreift, nur noch ein Verlangen: das, diesen Brief zu lesen.
Ich entließ den Aufseher mit einer Kopfbewegung, die ihm andeutete, daß ich ihm nichts mehr zu sagen hatte, und setzte mich zu dem Stein.
Er kehrte sogleich zurück, um seinen Platz im Vorderteil der Barke wieder einzunehmen.
Während dieser Zeit hob ich den Stein auf und bemächtigte mich des Briefes, und seltsamerweise nicht ohne eine gewisse innere Bewegung.
Ich begab mich wieder in meine Wohnung. Dieser Brief war auf ein grobes Schulpapier geschrieben, aber sauber und mit einer gewissen Zierlichkeit zusammengelegt.
    Die Schrift war klein, fein und von einem Charakter, der einem Schreiber von Profession Ehre gemacht hätte.
Der Brief war überschrieben: »An Herrn Alexandre Dumas.«
Dieser Mensch hatte mich also auch erkannt.
Rasch öffnete ich den Brief und las wie folgt:
    »Mein Herr,
ich habe gestern Gesehen, wie ser Sie sich anstrenkten, Mich zu erkennen, und Sie mußten sehen, wie ser ich Mich anstrengte, nicht erkant zu werden.
Sie begreifen, daß unter allen Temütigungen, denen Wir preisgegeben sind, eine der Größten diejenige ist, daß Wir uns, Unserer Würde entgleidet, wie wir dies sind, einem Manne gegenüber befinden, den wir in der Gesellschaft getroff en haben.
Ich habe Mir also das Fieber gegeben, um mir heute diese Temütigung zu ersparen.
Sollten sie einiges Mitleid für einen Unglücklichen empfinden,
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