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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch
Autoren: Wiley Cash
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sie fest und schafften es schließlich, ihre Hand aus dem Schlangenmaul zu befreien. An der Art, wie sie mit dem Tier umgingen, merkte man, dass sie es nicht verletzen wollten, und sie wollten auch nicht selbst gebissen werden. Chambliss nahm die Schlange so vorsichtig er konnte, und dann klappte er den Kistendeckel mit der Schuhspitze auf und ließ sie einfach wieder hineingleiten. Alle hörten mit der Tanzerei auf, als Molly losschrie, und kurz darauf hörte auch die Musik auf. In der Kirche war es so still wie noch nie, bis Chambliss sich neben Molly kniete und ihr das Mikrofon vor den Mund hielt, als würde er erwarten, dass sie etwas sagte. »Nur zu«, forderte er sie auf, aber man konnte bloß ihr Keuchen hören, als ob sie ganz außer Atem wäre. Irgendwer brachte ihr ein Glas Wasser, und die beiden Diakone hal- fen ihr, sich aufzusetzen und einen Schluck zu trinken. Da konnte man sehen, dass sich ihre Wange blau verfärbt hatte, und sie mussten Molly das Wasser in den Mund träufeln, weil ihre Lippen schon fast zugeschwollen waren.
    »Schwester Jameson«, sagte Chambliss, »du bist im Glauben vorgetreten, und wir alle sind Zeugen dieses deines Glaubens daran, dass die Liebe Jesu Christi dich bewahren und behüten wird, ob hier auf dieser sündigen Erde oder bei ihm in seiner Herrlichkeit.« Ein gerauntes »Amen« durchlief die Gemeinde, und manche schwenkten die Arme über dem Kopf zu einem Halleluja. »Ich werde die übrigen Diakone bitten, zu mir heraufzukommen und dir die Hand aufzulegen, Schwester, und vielleicht ist unser Herr gnädig, und unsere Gebete können dich bewahren.« Dann wurden Klappstühle lärmend über das Linoleum geschoben, und einige Männer gingen grüppchenweise aufs Podium und knieten sich um Molly, legten ihr die Hand auf und beteten verschiedene Gebete, manche von ihnen in Zungen. Einige von ihnen riefen Gott an und baten ihn, Molly zu verschonen. Chambliss kniete weiter neben ihr und hielt die Augen geschlossen, seine gesunde Hand auf ihrem Kopf, die verbrannte wieder am Mikrofon.
    »Gott hat seine Engel entsandt«, flüsterte er. »Ich höre ihre Schritte über uns auf dem Dach. Ich höre das Schlagen ihrer Schwingen, Molly. Gott hat seine Engel entsandt, damit sie von diesem Morgen an bei dir sind, und wir wissen nicht, ob sie hier sind, um über dich zu wachen und dich hier bei uns zu lassen, oder ob sie geschickt wurden, um dich in die Herrlichkeit seines Reiches zu tragen. Aber wir fühlen ihre Nähe, nicht wahr, und wir spüren, wie die Liebe Jesu uns in diesem Augenblick umhüllt.« Er hob den Kopf und sah die Gemeinde an. »Und alles Volk Gottes sprach: ›Amen.‹«
    »Amen«, erwiderte die Gemeinde lautstark im Chor. Chambliss stand auf und blickte uns an, und dann blickte er zu Molly hinunter, die dalag, umgeben von all diesen Männern, die wie wild über ihr beteten.
    »Doch die Welt besteht nicht aus dem Volk Gottes«, sagte er. »Die Welt weiß nicht, was wir wissen. Die Welt wird den Glauben dieser Frau nicht verstehen. Sie wird ihren Wunsch nicht verstehen, diese giftige Schlange aufzuheben, um den Teufel zu bezwingen. Und ich versichere euch, die Welt wird niemals einsehen, dass es Gottes Wille ist, sie aufzunehmen in sein Reich.«
    »Genau!«, schrie irgendwer. »Halleluja!«
    »Aber wir sind Wissende«, sagte Chambliss. »Wir wissen, was sich hier ereignet. Wir wissen, dass Gott einen Plan für sein Volk hat. Wir wissen, dass Gott nur die Gerechten in den Himmel eingehen lässt. Wir wissen, dass Gott nur die Würdigen heimholt.«
    »Amen!«, warf eine andere Stimme ein.
    »Und ich sage euch«, fuhr Chambliss fort, »es ist ein guter Tag, wenn eine von uns heimgeht. Es ist ein herrlicher Sonntagmorgen, wenn eine von uns zu Jesus gerufen wird. Halleluja!« Er ließ die Hände herabsinken und tänzelte vorne in der Kirche auf und ab. »Es erfüllt mich mit Freude, das zu erleben! Keine Tränen. Keine Traurigkeit. Halleluja! Nur Freude. Freude, dass diese Frau heimgeht. Wir haben heute hier in unserer Kirche die gute Macht des Heiligen Geistes, lobet Gott!« Er sah zu Mrs Crowder hinüber, die am Klavier saß, und nickte ihr zu, und sie fing an zu spielen und in die Tasten zu hauen. Gleich darauf fielen die Trommeln und die Gitarre mit ein, und ehe ich es mich versah, hatte die Gemeinde »Holy Ghost Power« angestimmt, als hätten alle Miss Molly Jameson vergessen, die da gerade vor unseren Augen an einem Schlangenbiss starb, und man konnte die dröhnende Musik in
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