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Fürchte dich nicht!

Fürchte dich nicht!

Titel: Fürchte dich nicht!
Autoren: Grafit
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vor wie ein Inselführer. Nur waren es keine gewöhnlichen Touristen, die hinter ihm hertrotteten und alles Mögliche über die Strände, den Hafen und das Wattenmeer wissen wollten, sondern Anzugträger aus Berlin und Hannover. Ihr Interesse galt nicht der Fauna des Nationalparks oder der Geschichte der Badekultur, stattdessen musste Geis Zahlen referieren: Schiffsbewegungen, Hotelbelegungen, Länge der Strände und Entfernungen zum Festland und den nächsten Inseln. Natürlich hätte man das alles am Schreibtisch mit ein paar Klicks im Internet erfahren können, doch dann wäre den Herren der dreitägige Ausflug auf die Insel entgangen, Luxusversorgung in einem der besten Norderneyer Hotels inklusive.
    Man wolle sich vor Ort ein Bild machen, das war die Formulierung, die Geis in den letzten Tagen ständig gehört hatte. Seine Reisegruppe bestand aus lauter Sicherheitsexperten, im Bundesinnenministerium und in verschiedenen Bundes- und Landesbehörden zuständig für die Abwehr von militanten Demonstranten und Terroranschlägen.
    Geis graute vor den nächsten Monaten. Denn die Sicherheitsexperten waren erst die Vorhut. Bis zum sechsten September würde es jetzt so weitergehen. Bis zu dem Tag, an dem das Gipfeltreffen der europäischen Regierungschefs beendet war. Delegationen und Komitees aus allen EU-Ländern würden die Insel überrollen. Sein Chef in Aurich hatte ihn ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich jederzeit für Auskünfte und Führungen bereithalten müsse. Als hätte er nichts Besseres zu tun, als den Animateur für politische Spitzenbeamte zu spielen.
    »Sie sind doch nicht ausgelastet«, hatte Fokke Janssen alle von Geis erhobenen Einwände abgeschmettert. »Mit den paar Kneipenschlägereien und Strandtaschendiebstählen werden Ihre Leute auch ohne Sie fertig.«
    In der Woche vor dem Gipfeltreffen, so sahen die bisherigen Planungen vor, würden über tausend Polizisten auf der Insel stationiert werden. Janssen und ein paar hohe Tiere aus Hannover wollten dann selbst nach Norderney kommen und das Kommando übernehmen. Für Martin Geis, den Leiter der kleinen Norderneyer Polizeistation, war ab diesem Zeitpunkt nur noch die Rolle eines Parkwächters vorgesehen.
    Nach den Erfahrungen vom G8-Gipfel in Heiligendamm war die Idee aufgekommen, die nächste Mammutkonferenz auf eine Insel zu verlegen, die sich viel leichter überwachen ließ als jeder Ort auf dem Festland. Doch warum musste es ausgerechnet Norderney sein? Warum nicht eine der anderen ostfriesischen Inseln oder, noch besser, Helgoland, der Felsbrocken mitten in der Nordsee?
    Natürlich kannte Geis die Antwort. Norderney verfügte über die notwendige Infrastruktur. Die Staats- und Regierungschefs kamen ja nicht allein, sondern mit Horden von Beratern, Bodyguards und Journalisten, die alle angemessen logieren wollten. Und Norderney bot genügend Unterbringungsmöglichkeiten und Konferenzräume, um einen solchen Ansturm zu bewältigen.
    Geis stapfte über den Alten Postweg in Richtung Dünen. Mit verhohlener Schadenfreude registrierte er, dass sich die Männer in seinem Schlepptau immer missmutiger gegen den Nordseewind stemmten. Trotz der giftigen gelben Sonne, die am fahlen Himmel hing, waren die Temperaturen alles andere als sommerlich. Und dünne Trenchcoats über Maßanzügen, die Uniform seiner Begleiter, eigneten sich für eine Dünenwanderung in etwa so gut wie ein Taucheranzug für die Durchquerung der Wüste.
    Seit drei Stunden liefen die Männer mittlerweile hinter ihm her. Geis hatte die Sicherheitsexperten kreuz und quer durch den Ort und dann über die Strandpromenade bis zum Hafen geführt. Jetzt würde sich zeigen, ob sie es ohne Erfrierungen bis zum Flugplatz schafften.
    »Warten Sie mal!« Lange, ein Abteilungsleiter aus dem Bundesinnenministerium und offenbar der Anführer der Reisegruppe, schnappte nach Luft. Sonne, Wind und Anstrengung hatten das Gesicht des korpulenten Mannes schweinchenrosa gefärbt. »Wohin kommen wir, wenn wir da geradeaus gehen?«

    »Am Golfplatz vorbei zum Leuchtturm und dem Flugplatz.«

    »Ist das Gebiet relevant?«
    »Kommt darauf an, was Sie darunter verstehen«, gab Geis zurück.
    Um den Leiter der Polizeistation bildete sich eine Traube. In einigen Gesichtern war die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Führung zu erkennen.
    »Uns interessieren vor allem die sicherheitsrelevanten Bereiche«, erklärte ein Mann, dessen Glatze von einem Sonnenbrand glühte. »Östlich der Lippestraße ist die
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