Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Für alle Fragen offen

Titel: Für alle Fragen offen
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
Vom Netzwerk:
für die Bühne bearbeitet wurde, ist Eugénie Grandet , die Geschichte eines fleißigen und geizigen Kleinbürgers und seiner schönen und empfindsamen Tochter. Gut und genau organisiert Vater Grandet seinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg. Er ist nun ein reicher und mächtiger Mann. Aber seine Rechnung geht doch nicht auf. Denn seiner Tochter Eugénie widerfährt, woran er nie im Leben auch nur gedacht hat – sie verliebt sich.
    Den Roman Vater Goriot hat man nicht ohne Grund mit Shakespeares König Lear verglichen, denn auch Goriot ist von seiner Vaterliebe geblendet und gerät in die Nähe des Wahnsinns. Der Roman Das Chagrinleder aus dem Jahre 1831 ist der erste Roman, der Balzac hohe Anerkennung brachte. Goethe warf diesem
Roman Extravaganzen vor, bescheinigte jedoch dem Autor einen »ganz vorzüglichen Geist«.
    Es gibt kaum einen Roman von Balzac, der nicht von seiner Genialität zeugen würde. Und kaum einen, dem die Nähe zur Hintertreppenliteratur nicht doch ein wenig anzumerken wäre. Trotz dieser Nähe erfreuten sich seine Werke rasch außerordentlicher Beliebtheit. Trotz oder vielleicht gar dank dieser Nähe?
    Wie auch immer: In jedem seiner Romane steckt der ganze Balzac – und so ist denn jeder ein Unterhaltungsroman im besten Sinn dieses Begriffs. Noch einmal: Nichts Menschliches, nichts Allzumenschliches war ihm fremd. Lesen Sie Balzac.

    Patrick Süskinds Das Parfum ist einer der meistgekauften deutschen Romane. Schätzen Sie den Autor?
    Patrick Süskind schreibt, als habe er nie Kafka gelesen und nie von Joyce gehört. Seine Vorbilder sind eher bei den Romanciers des neunzehnten Jahrhunderts zu suchen, zumal den französischen von Balzac bis Victor Hugo. Einiges mag er auch, bewusst oder unbewusst, von Marcel Proust gelernt haben.
    Sicher ist: Um die verschiedenartigen Mittel und Errungenschaften, um die ausgeklügelten Techniken und raffinierten Tricks der modernen Prosa kümmert sich dieser Autor nicht einen Pfifferling. Er verzichtet auf den Inneren Monolog. Den Perspektivwechsel braucht er nicht. Der Vorwurf, er spiele den allwissenden Erzähler und sei somit ein ganz altmodischer Kerl, scheint ihm herzlich gleichgültig zu sein.
    Er beginnt die Geschichte seines abstoßenden Helden, eines von der Natur auf schon grausame Weise Benachteiligten, mit dessen Geburt und schließt sie mit dessen Tod. Er berichtet in chronologischer Reihenfolge, ohne Rückblenden. Nie weicht er von seinem
Thema ab. Schilderungen, die, wer will, als genüsslich beanstanden mag, fürchtet er so wenig wie kleine, eher makabre Idyllen.
    Ich sage nicht, dass man heutzutage so erzählen soll. Aber ich meine, dass man auch heute so erzählen darf – vorausgesetzt, dass man es kann. Und dass moderne Epik zwar nicht unbedingt gut, aber gute stets modern ist – oder es zumindest immer sein sollte. Süskind hat einen ausgeprägten Sinn für den Rhythmus der Sprache, den er oft mit insistierenden und doch nicht störenden Wortwiederholungen erreicht.
    Seine Sätze sind niemals schwerfällig, auch wo sie sich zu langen Perioden auswachsen, bleiben sie makellos durchsichtig. Diese Diktion ist geschmeidig und anmutig und dennoch genau: Der verführerische Wohlklang vieler Seiten des Parfums geht nicht auf Kosten der Deutlichkeit des Ausdrucks. Mithilfe einer überaus sinnlichen Prosa bietet er uns eine Darstellung von erfreulicher und bisweilen bewundernswerter Anschaulichkeit. Deren einnehmende Musikalität lässt vermuten, dass von allen Sinnesorganen ihres Autors das Ohr am besten entwickelt ist.
    Der Mann, dessen Lebensweg hier ausgebreitet wird, verfügt über Fähigkeiten, die er
ebenfalls einem einzigen Sinnesorgan verdankt: der Nase. Dieses ungewöhnlich hässliche Geschöpf, diese Missgeburt sondergleichen, will sich rächen. Er, der selbst nach gar nichts riecht, indes alles riechend aufnimmt, er, der nicht glauben kann, was sich nicht riechen lässt – er strebt eine Revolution an.
    Aber was der Gedemütigte revolutionieren möchte, ist vorerst nur die Welt der Düfte. Er tötet unschuldige Mädchen, um sich deren Duft anzueignen, und stellt aus ihm das Parfum her, das bei den Menschen beliebt macht. Schließlich wird er gefasst und zum Tode verurteilt. Doch als er auf dem überfüllten Hinrichtungsplatz erscheint, da geschieht ein Wunder: Die geplante Hinrichtung artet zu einem gigantischen Bacchanal aus. Gegen Ende des Romans ist Süskind eine Apotheose von mythologischem Rang gelungen, eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher