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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin
Autoren: Sonia Rossi
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versuchen, heute nacht zu schlafen. Aber scheiß drauf. Erzähl mir doch einfach aus deinem Leben.«
    Ich sah auf die Uhr. Gerade Mitternacht, noch sieben Stunden bis Berlin. Jörg bestellte die zweite Flasche. Er hörte mir zu, bis der Zug am Hauptbahnhof von Berlin hielt.

1
ENDLICH BERLIN
    Ich stamme aus einer typisch bürgerlichen italienischen Familie und habe eine durchaus behütete Kindheit hinter mir. Wir wohnten auf einer der liparischen Inseln bei Sizilien; mein Vater war Gastwirt eines kleinen Hotels, meine Mutter arbeitete als Bibliothekarin.
    Kaum war ich achtzehn geworden, wurde mir diese Welt zu eng. Ich hatte das Gefühl, an der Liebe und Fürsorge meiner Eltern zu ersticken, und sehnte mich nach Freiheit und Abenteuer, all dem, was ich in der engen Welt meines Geburtsorts nicht finden konnte. Und unter allen Städten, die für ein neues Leben in Frage kamen, erschien mir Berlin am verheißungsvollsten.
    Im Sommer  2001 kam ich mit leichtem Gepäck am Bahnhof Zoo an. Die ersten Wochen in Berlin verbrachte ich in einer Art Trancezustand, fasziniert von der fremden Kultur, der Partyszene und den exotischen Männern, die ich in den Diskos traf. Länger als eine Nacht blieben sie allerdings nie – glücklicherweise, denn ein fester Freund war zu dem Zeitpunkt das Letzte, was ich wollte.
    Mein Plan war, ein Jahr später mit meinem Studium der Mathematik anzufangen. Die Zwischenzeit wollte ich nutzen, um so gut wie möglich Deutsch zu lernen. Ich kaufte mir ein Wörterbuch und lernte jeden Abend Vokabeln wieeine Besessene. Mein Ehrgeiz forderte von mir, dass ich diese fremde Sprache eines Tages wie meine eigene beherrschen würde.
    Ich hatte mir eine billige Wohnung im nicht gerade schicken Bezirk Moabit gemietet und schlug mich so durch, von einer Arbeit zur nächsten, am Anfang hoffnungsvoll, später immer unmotivierter. Ich kellnerte zuerst eine Zeitlang in einem Café in Charlottenburg, einer bürgerlichen Gegend in West-Berlin, für fünf Euro die Stunde. Danach jobbte ich als Babysitterin bei einer Familie im Grunewald, einem der reichsten Berliner Bezirke. Die fünf Kinder waren laut und verwöhnt. Die Mutter saß im Garten unter einem weißen Sonnenschirm und blätterte gelangweilt in Zeitschriften über Vollwertkost oder die Kunst, exotische Pflanzen zu halten. Ich sollte derweil den Nachwuchs »fördern«, indem ich pädagogisch sinnvolle Spiele mit den Kindern spielte oder ihnen lehrreiche Geschichten erzählte. Aber damit waren die fünf Blagen nicht wirklich zu begeistern. Sie saßen lieber vor der Glotze, aßen Gummibärchen und Chips statt Bioäpfel und machten Porzellan kaputt. Nach einigen kritischen Bemerkungen der Mutter über meinen Mangel an Begeisterung gab ich auch diesen Job auf und arbeitete fortan wieder in einer Kneipe, diesmal in Wilmersdorf.
    Abends ging ich oft tanzen, Clubs genug gab es ja in der Stadt. An einem dieser Diskoabende drehte ich mich wieder mal versunken um mich selbst. Ich trug ein rotes T-Shirt, eine Lederhose und meine langen Haare offen. Plötzlich stand ein Junge mit zwei Gläsern Campari Orange vor mir. Er war kaum größer als ich und trug ein ausgeleiertes Tarnsweatshirt mit Kapuze, Baggy Pants und zu große Springerstiefel. Sein Gesicht war schmal und sanft. Nur seine Augen wirkten aufmerksam, fast wachsam – »Katzenaugen«, wardas erste, was mir durch den Kopf fuhr, blau und aufdringlich, wie grelles Licht, das einen nach einer Tanznacht unvermittelt ins Gesicht trifft.
    Er stieß einen Motorradtypen, der sich an mich rangetanzt hatte, beiseite und küsste mich. Ich fand ihn auf Anhieb so sexy, dass ich es geschehen ließ. Seine Zunge schmeckte süßlich, sein Atem roch angenehm nach Alkohol. Gerade vier Wochen zuvor hatten Kamikazepiloten Passagierflugzeuge in zwei Wolkenkratzer in New York gelenkt; die Weltwirtschaft drohte zu kollabieren, die Arbeitslosigkeit stieg und stieg. Trotzdem tanzte und knutschte ich unbeschwert mit diesem mir völlig unbekannten Jungen und meine Füße wurden leicht, während ich mich immer mehr betrank.
    »Erwarte nicht zu viel von dem«, raunte eine Arbeitskollegin, die an diesem Abend mit mir mitgekommen war, mir halb scherzhaft zu, während wir an der Bar Sekt tranken. »Der ist ein Straßenkind aus Polen. Okay für Sex. Aber verlieb dich nicht in ihn.«
    »Ach Quatsch«, antwortete ich, etwas gelangweilt von ihren Ratschlägen. Ich setzte mich auf den Schoß des kleinen Typen und wir knutschten weiter rum, bis der
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