Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frühe Erzählungen 1893-1912

Frühe Erzählungen 1893-1912

Titel: Frühe Erzählungen 1893-1912
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
sie noch in der Thür stand und scheinbar am Boden etwas suchte. – Doch wollte es ihm dünken, als habe sie erst bei seiner schnellen Wendung plötzlich die Haltung des Suchens angenommen. – – –
    »Gestern Abend habe ich Euch gesehen!« sagte Rölling einmal. »Kleiner, nimm den Ausdruck meiner Hochachtung. So weit hat’s wahrhaftig noch keiner mit ihr gebracht. Du bist ein Hauptkerl. Aber ein Schaf bist Du doch. Viel mehr Avancen kann sie Dir doch eigentlich gar nicht machen. Dieser notorische Tugendbold! Sie muß ja vollkommen in Dich verliebt sein! Daß Du da nun nicht mal frisch drauflos gehst!«
    Er sah ihn einen Augenblick verständnislos an. Dann begriff er und sagte: »Ach schweig!« –
    Aber er zitterte.
    – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
    Dann reifte der Frühling. Schon gegen Ende dieses Mai reihte sich eine Anzahl heißer Tage, in denen kein Tropfen Regen fiel. Mit einem fahlen, dunstigen Blau starrte der Himmel auf die dürstende Erde hernieder, und die starre, grausame Hitze des Tages machte gegen Abend einer dumpfen, lastenden Schwüle Platz, die ein matter Luftzug nur desto fühlbarer machte.
    An einem dieser Spätnachmittage strich unser braver Junge einsam in den hügeligen Anlagen vor der Stadt umher.
    Es hatte ihn daheim nicht gelitten. Er war wieder krank; wieder trieb ihn diese durstige Sehnsucht, die er doch längst gestillt glaubte durch all das Glück. Aber nun mußte er wieder stöhnen. Nach ihr. – Was wollte er noch! – –
    Von Rölling kam es, diesem Mephisto. Nur gutmütiger und weniger geistvoll.
    {31} Um dann die hohe Intuition –
    ich darf nicht sagen wie zu schließen …
    Er schüttelte mit einem Ächzen den Kopf und starrte weit hinaus in die Dämmerung.
    Von Rölling kam es! – Oder der hatte es doch, als er ihn wieder bleich werden sah, zuerst in brutalen Worten genannt und nackt vor ihn hingestellt, was sonst noch von den Nebeln weicher, vager Melancholie umhüllt gewesen! – –
    Und er wanderte immer weiter, in diesem müden und doch strebenden Schritt, in der Schwüle.
    Und er konnte den Jasminbusch nicht finden, dessen Duft er schon immerfort empfand. Es konnte ja noch gar kein Jasmin blühen, aber er hatte doch immer diesen süßen, betäubenden Geruch, überall, so lange er draußen war. –
    An einer Biegung des Weges, gelehnt an einen wallartigen Abhang, auf dem verstreute Bäume standen, war eine Bank. Da setzte er sich und sah geradeaus.
    An der anderen Seite des Weges senkte sich bald der dürre Grasboden zum Fluß hinab, der träge vorüberglitt. Jenseits die Chaussee, schnurgerade, zwischen zwei Reihen Pappeln. Dort, mühselig den fahl-violetten Horizont entlang, schleppte sich einsam ein bäuerischer Wagen.
    Er saß und starrte und wagte keine Bewegung, weil sonst auch nichts sich regte.
    Und immer und immer dieser schwüle Jasmin!
    Und auf der ganzen Welt diese dumpfe Last, diese lauwarme, brütende Stille, so durstig und lechzend. Er fühlte es, daß irgend eine Befreiung kommen mußte, irgendwoher eine Erlösung, eine stürmisch erquickende Befriedigung all dieses Durstes in ihm und der Natur …
    Und dann sah er wieder das Mädchen vor sich, in dem hellen {32} antiken Kostüm, und ihren schmalen, weißen Arm, der weich und kühl sein mußte –
    Da stand er auf mit einem halben, vagen Entschluß und ging schneller und schneller den Weg zur Stadt. – – –
    Als er stehen blieb mit einem unklaren Bewußtsein, am Ziele zu sein, schlug plötzlich ein großer Schreck in ihm empor.
    Es war völlig Abend geworden. Alles war still und dunkel um ihn. Nur hin und wieder zeigte sich noch ein Mensch um diese Zeit in der noch vorstadtartigen Gegend. Unter vielen leis verschleierten Sternen stand der Mond am Himmel, beinahe voll. Ganz fern das phlegmatische Licht einer Gaslaterne.
    Und er stand vor ihrem Hause. –
    Nein, er hatte nicht hingehen wollen! aber es hatte in ihm gewollt, ohne daß er es wußte.
    Und nun, wie er da stand und regungslos zum Monde empor sah, war es doch wohl richtig so, und sein Platz.
    – Es war irgendwoher noch mehr Lichtschein da. –
    Es kam von oben, aus dem dritten Stockwerk, aus ihrem Zimmer, wo ein Fenster offen stand. Sie war also nicht im Theater beschäftigt; sie war daheim und noch nicht zur Ruhe gegangen. –
    Er weinte. Er lehnte am Zaun und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher