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Frühe Erzählungen 1893-1912

Frühe Erzählungen 1893-1912

Titel: Frühe Erzählungen 1893-1912
Autoren: Thomas Mann
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Mai der Winter ein letztes Ringen versuchte, Tage schweren Kampfes.
    Aber als er dann eines Morgens aus tiefem Schlaf erwachte, nachdem er sie im Traum gesehen, und sein Fenster öffnete, da war es Frühling.
    Der Himmel war licht – ganz lichtblau, wie in einem milden Lächeln, und die Luft hatte ein so süßes Gewürz.
    Er fühlte, roch, schmeckte, sah und hörte den Frühling. Alle Sinne waren ganz Frühling. Und es war ihm, wie wenn der breite Sonnenstreif, der drüben über dem Hause lag, in zitternden Schwingungen bis in sein Herz flösse, klärend und stärkend.
    Und dann küßte er stumm ihr Bild und zog ein reines Hemd an und seinen guten Anzug und rasierte sich die Stoppeln am Kinn und ging in die Heustraße. –
    Es war eine seltsame Ruhe über ihn gekommen, vor der er fast erschrak. Aber sie blieb doch. Eine traumhafte Ruhe, als ob er es gar nicht selbst wäre, der da die Treppen hinaufging und nun vor der Thür stand und die Karte las: Irma Weltner – –
    Da auf einmal durchfuhr es ihn, daß es ein Wahnsinn sei, und was er denn wollte, und daß er schnell umkehren müsse, bevor ihn jemand sähe.
    Aber es war nur, wie wenn durch dieses letzte Aufstöhnen {23} seiner Scheu der irre Zustand von vorhin endgültig abgeschüttelt sei, dann zog eine große, sichere, heitere Zuversicht in sein Gemüt, und während er bislang wie unter einem Druck gestanden, unter einer lastenden Notwendigkeit, wie in der Hypnose handelte er nun mit freiem, zielsicherem, jauchzendem Willen.
    Es war ja Frühling! –
    Die Glocke klapperte blechern durch die Etage. Ein Mädchen kam und öffnete.
    »Das gnädige Fräulein zu Hause?« fragte er munter.
    »Zu Hause – ja – aber wen darf ich …«
    »Hier.«
    Er gab ihr seine Karte, und während sie dieselbe forttrug, ging er mit einem übermütigen Lachen im Herzen einfach gleich hinterher. Als das Mädchen ihrer jungen Herrin die Karte überreichte, stand er auch schon im Zimmer, aufrecht, den Hut in der Hand.
    Es war ein mäßig großer Raum mit einfachem, dunklem Ameublement.
    Die junge Dame hatte sich von ihrem Platz am Fenster erhoben; ein Buch auf dem Tischchen neben ihr schien eben beiseite gelegt. Er hatte sie niemals so reizend gesehen, in keiner Rolle, wie in der Wirklichkeit. Das graue Kleid mit dunklerem Brusteinsatz, das ihre feine Gestalt umschloß, war von schlichter Eleganz. In dem blonden Gekraus über ihrer Stirn zitterte die Maisonne.
    Sein Blut quirlte und rauschte vor Entzücken, und als sie nun einen erstaunten Blick auf seine Karte warf und dann einen erstaunteren auf ihn selbst, da brach, indem er zwei schnelle Schritte auf sie zu that, seine warme Sehnsucht in ein paar bangen, heftigen Worten hervor:
    »Ach nein … böse dürfen Sie nicht sein!!«
    {24} »Was ist denn das für ein Überfall?« fragte sie belustigt.
    »Aber ich mußte Ihnen doch, wenn Sie mir’s auch nicht erlaubt haben, ich mußte Ihnen doch einmal mündlich sagen,
wie
ich Sie bewundere, gnädiges Fräulein –« Sie deutete freundlich auf einen Sessel, und indem sie sich setzten, fuhr er etwas stockend fort: »Sehen Sie, – ich bin nun schon mal so einer, der immer gleich alles
sagen
muß und nicht nur so immer alles … alles mit sich
herumtragen
kann, und da bat ich denn … warum haben Sie mir eigentlich gar nicht geantwortet, gnädiges Fräulein?« unterbrach er sich treuherzig.
    »Ja – ich kann Ihnen nicht sagen«, erwiderte sie lächelnd, »wie aufrichtig mich Ihre anerkennenden Worte und der schöne Strauß erfreut haben, aber … das ging doch nicht, daß ich da gleich so … ich konnte ja nicht wissen …«
    »Nein, nein, das kann ich mir nun auch ganz gut denken, aber nicht wahr, jetzt sind Sie mir auch nicht böse, daß ich so ohne Erlaubnis …«
    »Ach nein, wie kann ich wohl!«
    »Sie sind erst seit ganz kurzer Zeit in P.?« fügte sie schnell hinzu, feinfühlig eine verlegene Pause verhütend.
    »Doch schon etwa sechs bis sieben Wochen, gnädiges Fräulein.«
    »So lange? Ich dachte, Sie hätten mich vor anderthalb Wochen zuerst spielen sehen, als ich Ihre freundlichen Zeilen erhielt?«
    »Ich
bitte
Sie, gnädiges
Fräulein
!! Ich hab’ Sie ja während der ganzen Zeit beinah jeden
Abend
gesehen! In allen Ihren Rollen!«
    »Ja, warum sind Sie denn da nicht schon früher gekommen?« fragte sie harmlos erstaunt.
    »Hätte ich schon früher kommen sollen –?« erwiderte er ganz kokett. Er fühlte sich so namenlos glücklich
ihr
gegenüber im Sessel,
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