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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition)
Autoren: Mo Yan
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seines störrischen Wesens war das Muli erstaunlich stark und außergewöhnlich flink. Niemand sonst hätte dieses durchgedrehte Tier zu zügeln gewusst.
    Viele beneideten Wang Bein um seinen Beruf, aber keiner traute sich in die Nähe des Mulis. Schon von weitem hatte jeder Respekt. Zwei Kinder hatte das Muli bereits gebissen, das eine war Yuan Backe, der Sohn von Yuan Gesicht, das andere war die kleine Wang Galle. Als das Muli einmal vor dem Fuhrwerk angespannt vorm Haus stand und der Kleine dort in der Hocke saß und spielte, hatte es ihm ein Stück Fleisch aus dem Kopf gebissen. Für uns war Wang Bein die Respektsperson überhaupt! Er maß einen Meter neunzig, war stark wie ein Bulle, eine hundert Kilo schwere Steinwalze hob er mit bloßen Händen hoch und stemmte sie mit gestreckten Armen über seinem Kopf. Was wir aber am meisten bewunderten, war seine zaubermächtige Peitsche. Als das Muli den kleinen Yuan Backe in den Schädel biss, zog Wang Bein sofort die Wagenbremse an, um breitbeinig auf dem Kutschbock stehend das Muli mit der Peitsche zu verdreschen. Jeder Peitschenhieb erzeugte einen hellen Ton und hinterließ einen blutigen Striemen auf der Kruppe. Zuerst schlug das Muli noch aus, aber die Peitsche drosch unverändert weiter auf es ein, so dass es am ganzen Körper zu zittern begann. Es kniete mit den Vorderbeinen am Boden, sein Kopf hing wie leblos herunter, mit dem Maul biss es in die Erde, um mit der Kruppe die harten Hiebe zu empfangen. Es war Backes Vater, der dem Ganzen ein Ende machte und einlenkte: »Wang, lass es gut sein, verschone das Tier!« Wang Bein hielt wutschnaubend inne. Yuan war Parteizellensekretär, besaß den höchsten Beamtenposten im Dorf. Seinem Wort widersetzte man sich nicht.
    Als das Muli dann die kleine Galle biss, warteten alle wieder auf ein Spektakel. Aber Wang Bein tat keinen einzigen Peitschenhieb. Er griff nur einen Batzen von dem Haufen Branntkalk am Weg, presste ihn seiner Tochter auf den Kopf und trug sie nach Haus. Das Muli war davongekommen, an seiner Stelle hatten seine Frau einen Peitschenhieb und sein Sohn einen Fußtritt einstecken müssen. Wir zeigten mit dem Finger auf das braune Muli: Es war so dürr, dass ihm die Rippen zentimeterhoch hervorstanden, in seine Augengruben hätte ein Hühnerei gepasst. Sein Blick war voll Kummer, als bräche es jeden Moment in Tränen aus. Wir fanden es unvorstellbar, dass ein so gewaltiger Sturm aus einem so klapprigen Muli hervorbrechen konnte. Als wir debattierend dem Muli immer näher kamen, hielt Wang Bein mit dem Kohlenschippen ein und schrie uns scharf an. Wir machten uns sofort davon.
    Der Kohlenhaufen vor der Schulküche wuchs beständig, der auf dem Hänger wurde kleiner und kleiner. Wir schnupperten alle gleichzeitig, denn jeder von uns hatte diesen ungewöhnlichen Duft wahrgenommen. Wie ein Kiefernfeuer! Oder wie im Feuer gebackene Kartoffeln! Unser Geruchssinn lenkte unseren Blick auf den glitzernden Kohlenhaufen. Wang trieb Pferd und Muli an und fuhr vom Schulhof. Diesmal rannten wir nicht wie üblich dem Fuhrwerk nach, sprangen hinten auf und riskierten einen Peitschenhieb auf den Kopf, sondern wir starrten nur den Kohlenhaufen an, während wir uns ihm Schritt für Schritt näherten.
    Der Kantinenkoch Wang kam wankend mit zwei Eimern Wasser. Seine Tochter Renmei, die auch in unsere Klasse ging, wurde später meine Frau. Sie war eines der wenigen Mädchen, die einen gut klingenden Vornamen hatten und nicht wie wir nur nach Körperteilen gerufen wurden. Der Koch war ein Mann von Bildung. Er war ursprünglich Leiter der amtlichen Veterinärdienststelle unserer Volkskommune gewesen, aber wegen einer falschen Äußerung seines Postens verwiesen und aufs Land strafversetzt worden. Jetzt beäugte er uns argwöhnisch. Ja, glaubte er denn, wir würden die Kantine stürmen und über das Essen herfallen?
    Er rief uns zu: »Ihr Hasenbälger, ihr Memmen, verschwindet! Hier gibt’s für euch nichts zu knabbern! Ab nach Haus mit euch, an die Brust eurer Mutter!«
    Wir hatten ihn schon verstanden, seinen Ratschlag auch in Erwägung gezogen. Jedoch wussten wir genau, dass er uns nur beschimpfen wollte. Wir wurden doch nicht mehr gestillt! Wie sollte das angehen mit sieben, acht Jahren! Und wäre es wahr gewesen, so hätten unsere ausgemergelten Mütter, denen die dünnen Brüste schmal auf den Rippen klebten, bestimmt keine Milch mehr gehabt. Aber keiner von uns beschwerte sich bei ihm, denn wir Kinder krochen wie die
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