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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Autoren: Sabine Appel
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«Als die Konfirmanden paarweise zum Altar traten, um kniend die Weihe zu empfangen, da knieten Nietzsche und ich als nächste Freunde nebeneinander. Sehr wohl erinnere ich mich noch an die heilige, weltentrückte Stimmung, die uns während der Wochen vor und während der Konfirmation erfüllte. Wir wären ganz bereit gewesen, sogleich abzuscheiden, um bei Christo zu sein, und all unser Denken, Fühlen und Treiben war von einer überirdischen Heiterkeit überstrahlt.» Deussen wurde dann gleichfalls ein Abtrünniger. Aufgewachsen im Dorf Oberdreis in den Tiefen des Westerwalds, wo sich nicht nur Fuchs und Hase gute Nacht sagten, sondern eine «weltentrückte Einsamkeit» (Deussen) offenbar noch ein religiöses und philosophisches Bewusstsein begünstigte, wenn auch ohne gehobene Lebensstimmung, wie der Autobiograph anmerkte, war er ebenfalls ein Pfarrerssohn, und seine Mutter war außerdem vom Pietismus beeinflusst. «Wie im Dämmerlicht flossen meine Tage dahin, und charakteristisch ist, dass mich die Wonne des Daseins zum erstenmal durchschauerte, als ich, zehn Jahre alt, in Vaters altem und wenig benutztem griechischen Neuen Testamente das Griechische lesen lernte.» Deussen studierte den Eltern zuliebe Theologie, danach aber Klassische Philologie, Philosophie und Sanskrit. Unter dem Einfluss der indischen Religion und Philosophie gab er den Glauben an einen persönlichen Gott im Sinne des Christentums auf und bekannte sich zu der Ansicht, «dass das höchste Wesen über alle Persönlichkeiten erhaben sei.» Seine sämtlichen Veröffentlichungen kreisen mehr oder weniger um diesen Gedanken. Ausgiebige Reisen des Philosophie-Professors Deussen nach Palästina, Ägypten, Indien und Algier, Athen, Spanien und Portugal, London, Paris erweiterten ständig sein Weltbild. Deussen gründete 1911 die Schopenhauer-Gesellschaft. 1861 aber kniete er in der Klosterkirche neben Nietzsche und empfing in Andacht die Konfirmationsweihe. Schulpforta vermochte, wie’s aussieht, die Keime zu großen Wanderschaften des Denkens zu setzen.

    Stundenplan des Domgymnasiums Naumburg
für das Winterhalbjahr 1856–1857.
    Ein Jahr nach seiner Konfirmation verfasste der siebzehnjährige Nietzsche eine Schrift, die vielleicht als Übergangszeugnis für diese jugendlichen Denk- und Loslösungsprozesse zu sehen ist. Zwar gibt es hier noch ein Bekenntnis zum Christentum als Herzens-, Gemütsglaube, doch was betont wird und was als überwindungsnotwendig kritisiert, die sehr eigenwillige Interpretation und ein offenkundiges Unbehagen an der tradierten christlichen Lehre, das durchschimmert, weist alles eigentlich bereits aus ihr hinaus, während die Nietzsche’schen Hauptthesen in nuce schon vorformuliert sind. Es ist eine erstaunliche kleine Schrift, nur eine Ideensammlung eigentlich, in der es heißt: «Nur christliche Anschauungsweise vermag derartigen Weltschmerz hervorzubringen, einer fatalistischen liegt er sehr fern. Es ist nichts als ein Verzagen an eigner Kraft, ein Vorwand der Schwäche, sich mit Entschiedenheit selbst sein Loos zu schaffen. Wenn wir erst erkennen, daß wir nur uns selbst verantwortlich sind, daß ein Vorwurf über verfehlte Lebensbestimmung nur uns, nicht irgend welchen höhern Mächten gelten kann, dann erst werden die Grundideen des Christentums ihr äußeres Gewand ablegen und in Mark und Blut übergehn. Das Christentum ist wesentlich Herzenssache; erst wenn es sich in uns verkörpert hat, wenn es Gemüth selbst in uns geworden ist, ist der Mensch wahrer Christ. Die Hauptlehren des Christentums sprechen nur die Grundwahrheiten des menschlichen Herzens aus; sie sind Symbole, wie das Höchste immer nur ein Symbol des noch Höhern sein muß. Durch den Glauben selig werden heißt nichts als die alte Wahrheit, daß nur das Herz, nicht das Wissen, glücklich machen kann. Daß Gott Mensch geworden ist, weist nur darauf hin, daß der Mensch nicht im Unendlichen seine Seligkeit suchen soll, sondern auf der Erde seinen Himmel gründe; der Wahn einer überirdischen Welt hatte die Menschengeister in eine falsche Stellung zu der irdischen Welt gebracht: er war das Erzeugniß einer Kindheit der Völker. Die glühende Jünglingsseele der Menschheit nimmt diese Ideen mit Begeisterung hin und spricht ahnend das Geheimniß aus, das zugleich auf der Vergangenheit in die Zukunft hinein wurzelt, daß Gott Mensch geworden. Unter schweren Zweifeln und Kämpfen wird die Menschheit männlich: sie erkennt in sich ‹den Anfang, die Mitte,
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