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Fremde Wasser

Fremde Wasser

Titel: Fremde Wasser
Autoren: Wolfgang Schorlau
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ging Dengler stillschweigend davon aus, dass Martin Klein nichts von Horoskopen
     und Astrologie hielt. Es passte einfach nicht zu ihm. Er wirkte aufgeklärt und vernünftig, eher der Wissenschaft zugeneigt
     als der Esoterik. Aber sicher bin ich nicht, dachte Dengler. Obwohl ich Martin täglich sehe, weiß ich doch wenig über ihn.
    Vor einigen Jahren, als er seinen ersten Fall bearbeitete, war Denglers Büro und Wohnung heimlich durchsucht worden. Damals
     verdächtigte er Martin zu Unrecht, der unbekannte Schnüffler gewesen zu sein. Das tut mir heute noch leid, dachte er. Er hatte
     Klein seinerzeit überprüft und herausgefunden, dass dieser zwei Kriminalromane veröffentlicht hatte. Leider machte der Verlag
     bald nach Erscheinen des zweiten Krimis Pleite, und beide Bücher waren nicht mehr lieferbar. Später, als sie Freunde wurden,
     erzählte ihm Klein, dass er fast alle seine Ersparnisse in diese beiden Romane gesteckt habe. Vier Jahre habe er an ihnen
     gearbeitet. Und da sei er froh gewesen, den Job mit den Horoskopen zu bekommen.Doch Kleins heimliche Leidenschaft galt immer noch den Kriminalromanen. Einen Kriminalroman zu schreiben, sagte Klein einmal
     zu Dengler und Olga, sei das größte Glück auf Erden. Sich ein Verbrechen auszudenken, eine Geschichte zu konstruieren, Figuren
     zu erfinden ... Dann das Schreiben selbst. Wenn man eine gute Szene geschrieben habe, sei dies das beste Gefühl, das er kenne.
     Nur mit Sex vergleichbar, fügte er schmunzelnd hinzu, aber daran könne er sich in seinem Alter nur noch unklar erinnern.
    Hin und wieder zog Klein seinen Freund Georg damit auf, dass dessen Fälle für einen guten Krimi einfach nicht taugten. Und
     machte dabei immer die gleiche wegwerfende Handbewegung. Aber insgeheim, da war sich Dengler sicher, wartete Klein noch immer
     auf den ganz besonderen Fall, den er zu einem Kriminalroman verarbeiten konnte.
    »Warum willst du den Fall nicht annehmen?«, fragte Olga. Georg Dengler blickte zu Olga, die ihn anlächelte.
    Diese Frau ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist.
    Seit seinem letzten größeren Fall waren sie ein Paar. Trotzdem gab es Themen, über die er nichts wusste und über die sie nicht
     sprach. Sie schwieg, sooft er sie auch fragte. Ihre Kindheit in Rumänien – er wusste, dass sie sehr arm und nicht bei ihren
     Eltern aufgewachsen war. Als Kind war ihr der Zeigefinger der rechten Hand gedehnt und gezogen worden, bis er genauso lang
     wie ihr Mittelfinger war. Gleich große Zeige- und Mittelfinger sind ein strategischer Vorteil, wenn man in die Jackett- und
     Hosentaschen anderer Leute greift.
    Olga hat mir nie erzählt, wie lange sie in ihrer Kindheit als Diebin arbeiten musste. Sie hat mir auch nie, außer einer kurzen
     Bemerkung, von der Ehe erzählt, zu der sie als Mädchen gezwungen worden war.
    Und doch hatte Olga diese schwierigen Jahre offenbar ohne Schäden hinter sich gebracht. Nur manchmal wälzte sie sich schwer
     im Schlaf. Dann legte Georg ihr eine Hand auf dieStirn, und sofort atmete sie wieder ruhig und gleichmäßig. Olga lebte, so schien es Dengler, frei und unbeschwert. Sie kannte
     keine Finanzprobleme. Wenn ihr Geld knapp wurde, spazierte sie ein- oder zweimal durch die Lobby eines großen Hotels – und
     schon reichte es wieder für die nächsten Monate. Jetzt arbeitete sie nur auf eigene Rechnung. Den Leuten, denen ich Geld stehle,
     tut das nicht weh, sagte sie zu Georg. Mache dir keine Sorgen! Sie erzählte Dengler nie, wann sie loszog, manchmal verschwand
     sie für zwei oder drei Tage. Und nie wurde sie geschnappt.
    Während Klein sich über den Einzug eines privaten Ermittlers in das Haus gefreut hatte, hatte Georgs Erscheinen die schöne
     Olga beunruhigt. Es dauerte lange, bis sie mit ihm überhaupt ein Wort sprach. Doch als sie merkte, dass er, der Expolizist,
     sie in Ruhe ließ, half sie ihm sogar. Seinen ersten Fall hätte er ohne sie nicht lösen können. Und bei seinem zweiten großen
     Fall war sie ständig an seiner Seite.
    All das bedachte Dengler in Sekundenbruchteilen, bevor er ihr antwortete: »Es ist in diesem Fall äußerst schwierig, an die
     nötigen Informationen zu kommen, außerdem habe ich im Augenblick einiges zu tun.«
    Das stimmte. Nach der harten Zeit, in der Dengler jeden Fall annehmen musste, um sich über Wasser zu halten, hatte sich die
     Auftragslage gebessert. Mittlerweile war sein Minus auf dem Konto geschmolzen, und nun hegte er die kühne Hoffnung, es könne
    
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