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Frederica - sTdH 6

Frederica - sTdH 6

Titel: Frederica - sTdH 6
Autoren: Frederica - sTdH 6
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ihrem
Schreibtisch verschwinden.
    »Miß
Armitage«, sagte sie und entblößte dabei ihre schwarzen und gelben Zähne. »Sie
waren nicht in Miß Chichesters Stunde.«
    »Ich habe
gepackt, Madam«, sagte Frederica.
    »Gepackt?«
    »Ja, Madam.
Hier ist ein Brief von meinem Vater, der sich in dem Brief von Mr. Radford
befand. Ich habe ihn selbstverständlich nicht gelesen, da er an Sie
adressiert ist, aber Mr. Radford
hat mir geschrieben, Papa wünsche, daß ich auf der Stelle nach Hause komme.«
    Miß Grunton
fummelte in ihrem Spitzenoberteil auf der Suche nach ihrem Monokel herum und
las dann den Brief, wobei sich ihre Lippen tonlos bewegten.
    »Verflixt!«
sagte sie schließlich. »Es ist zu spät, Sie heute noch auf die Reise zu
schicken, Miß Armitage.«
    »Es reicht
ja, wenn ich morgen ganz früh fahre«, antwortete Frederica.
    »Sehr wohl.
Äußerst merkwürdig. Meine Zöglinge reisen nie ohne Begleitung. Vielleicht kann
ich meine Lucy mitschicken.«
    »Bitte
machen sie das nicht, Madam. Lucy hat eine Erkältung, und Papa fürchtet immer,
sich anzustecken.«
    »Ach, du
meine Güte, ja. Ich schicke jemanden zu Johns Stall und bestelle die Kutsche
für morgen um neun Uhr. Aber ich werde Ihrem Vater einen äußerst strengen
Brief schreiben, Miß Armitage, daß es so nicht geht. Ihre Zeit ist noch nicht
abgelaufen, auf der anderen Seite ist Ihr Schulgeld bezahlt ...«
    »Vielleicht
schreibt er etwas darüber, daß er kein Geld zurückwill?« bemerkte Frederica und
fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Miß Grunton des Lesens unkundig sei.
    Das Monokel
kam noch einmal zum Vorschein, und der Brief wurde wieder studiert.
    Frederica
seufzte mit einer Mischung aus Ungeduld und Schuldgefühl, als Miß Grunton
versuchte, den Brief zu entziffern.
    »Es wird
dunkel«, sagte Frederica schließlich. »Bitte, lassen Sie mich Ihnen den Brief
vorlesen.«
    »Wollen Sie
das, mein liebes Kind? Das ist aber sehr aufmerksam von Ihnen.«
    Frederica
las den Brief vor und legte besonderes Gewicht auf die Stelle, wo der Pfarrer
auf die Rückerstattung des Schulgeldes verzichtete.
    »Wie
großzügig!« rief Miß Grunton aus. »Natürlich müssen wir tun, was er wünscht.
Sie werden sich von Ihren Freundinnen
verabschieden wollen, Miß Armitage. Deshalb erlaube ich Ihnen jetzt, zu den
anderen Mädchen zu gehen.« Aber Frederica war zu schüchtern, als daß sie viele
Freundschaften geschlossen hätte, abgesehen von der mit Bessie Bradshaw, die
aber schon vor drei Monaten gegangen war. Trotzdem war sie froh, daß sie den
Raum verlassen konnte und daß der erste Teil ihres Planes gelungen war.
    Frederica
ging wieder die Treppe hinauf, um weiter zu packen. Dann kniete sie sich hin
und sprach ein kurzes Gebet für die Seele ihrer Mutter. Dabei bedrückte der Kummer
ihr Herz. Sie wußte nie ganz genau, ob sie um ihre Mutter trauerte oder um eine
Traummutter, die sie nie gehabt hatte. Mrs. Armitage war eine Kranke aus Leidenschaft
gewesen und war im vergangenen Jahr an einer zu starken Dosis ihrer
Allheilmittelchen gestorben. Frederica hatte ihre Mutter eigentlich nie richtig
gekannt, weil Mrs. Armitage entweder an einem ihrer Krämpfe litt oder in einem
Opiumtraum dahindämmerte.
    Beim
Abendessen verkündete Miß Grunton, daß Miß Armitage das Seminar verlassen
werde. Daraufhin war Frederica sofort von einer Schar aufgeregt schnatternder
junger Mädchen umringt, die sie liebevoll streichelten. Liebe Freddie.
Bestimmt die allerbeste Freundin, die man je gehabt hatte.
    Die
unschuldige Frederica war zu Tränen gerührt. Sie hatte gar nicht gemerkt, daß
sie alle so gern hatten.
    Die Mädchen
rannten auf ihre Zimmer, um kleine Geschenke für sie zu suchen. Sie drängten
Frederica ihre Adressen auf und ließen sie versprechen, ihnen zu schreiben.
    Die
traurige Wahrheit war, daß alle sich nicht das geringste aus Frederica machten
– aber den guten Ruf kannten, den Fredericas Schwestern in der Londoner
Gesellschaft genossen. Jede hoffnungsvolle Debütantin konnte ihre Heiratsaussichten
verbessern, wenn sie mit den Armitages auf vertrautem Fuße stand. Jede hatte
vorgehabt, sich mit der trübseligen kleinen Frederica anzufreunden, bevor das
Trimester vorüber war, und alle strengten sich jetzt an, die verlorene
Zeit wieder einzubringen.
    Aber die
naive Frederica war tief bewegt und hätte beinahe beschlossen, den Gedanken an
die große Flucht fallenzulassen. Aber dann müßte sie noch mehr Briefe
fälschen, um zu erklären, warum sie doch nicht wegging,
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