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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Autoren: Dorinde van Oort
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ihr Zimmer im Seniorenheim ausgeräumt haben, war er äußerst ungeduldig. Kleidung und Wäsche hat er in Müllsäcke gestopft und Briefe, Papiere und Nippes lieblos in einen großen Kabinenkoffer gepackt. Ich musste ihn eindringlich bitten, auf keinen Fall etwas wegzuschmeißen, bevor wir es nicht zusammen durchgesehen hatten, sonst hätte er womöglich alles gleich weggeworfen.
     
    War die Stimmung am Grab gemäßigt gelassen, so war der Leichenschmaus rundheraus fröhlich. Die Onkel Rob und Piet waren auf Lous Oud zugeeilt und ergingen sich in Erinnerungen an Aufenthalte im reichen Haus des alten Oud am Amsterdamer Overtoom. Ich hatte gehofft, auch selbst einWort mit der alten Dame wechseln zu können, aber bevor ich die Gelegenheit dazu bekam, wurde sie schon wieder von ihrem Chauffeur zu ihrem Auto eskortiert, den Pelzmantel um die Schultern.
    Der Umtrunk mit Häppchen, den Tante Tini organisiert hatte, trug ganz sichtbar den Charakter einer Familienfeier. Es waren so viele Leute gekommen, die ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Einige Namen musste ich raten. Ich war sehr zufrieden, dass meine
Éminences Grises
– Porträts von prominenten Frauen aus Kunst, Musik und Politik, die ich für die Kulturzeitschrift
Neerlands Diep
verfasst hatte – offenbar rundum gelesen wurden.
    Aus der Ecke der Beetsens wurden gemütvolle Geschichten über unsere eigene
éminence grise
zum Besten gegeben.
    »…   eine bildschöne Frau, als sie jung war. Deswegen kapier ich nicht   …«
    »…   aber in ihren jungen Jahren tatsächlich schon mal verlobt gewesen. Mit diesem Maler, wie hieß er doch gleich wieder   …?«
    »Melk«, erinnerte sich Tante Tini. »Sie hat mit ihm Schluss gemacht, weil sie in die Krankenpflege wollte.«
    »Ich hab mich immer gefragt, warum sie eigentlich bei dem alten Oud hängen blieb.«
    »Oh, der war großzügig und herzlich. Sie hatte ein Luxusleben bei ihm.«
    »Aber er war ein dicker kleiner Mann, der einen von Kopf bis Fuß gemustert hat, wenn man zufällig eine Frau war   …«
    »Habt ihr gesehen, dass Lous Oud gekommen ist?«, fragte jemand. »Die Frau von dem Architekten! Sag mal, und der andere Sohn vom Oud – der Politiker – wie lange ist der eigentlich schon tot?«
    »Schon lange. Der ist 1968 gestorben, glaub ich. Die Zeitungen waren damals voll davon.«
    »1919 war sie schon einunddreißig«, sinnierte eine derFrauen. »Vielleicht dachte sie, dass für sie in Sachen Heiratschancen der Zug allmählich abgefahren war.«
    »Warum hat sie dann vorher eigentlich nie geheiratet? Attraktiv genug war sie doch.«
    »Du darfst nicht vergessen, dass sie in so einem Schwesternheim wohnte. Da hatte sie keine Gelegenheit, Männer kennenzulernen. Und als sie erst mal ihr Diplom hatte, hat sie als Wochenpflegerin gearbeitet. Das lief über eine Agentur. Sie wurde von einer Familie zur nächsten geschickt und wusste nie, wo sie landen würde.«
    »Und dann hat sie sich schließlich doch Christiaan Mansborg geangelt. Der war seinerzeit nämlich berühmt, euer Großvater. Ich hab ihn noch gehört, als Jesus in der
Matthäus-Passion.
«
     
    Ich gesellte mich zu den Mansborgs, wo weniger euphorische Worte über die Verstorbene zu vernehmen waren.
    »Die hatte es faustdick hinter den Ohren. Meine Mutter konnte sie nicht ausstehen. Das ganze Theater um Großvaters Erbschaft   …«
    1953 war ich zwar erst sieben gewesen, aber ich konnte mich an das ›Theater‹ noch sehr gut erinnern. Es drehte sich alles um Vosseveld. Es waren Briefe von ›den
Indiërs
‹ gekommen – das waren Christiaan Mansborgs älteste Kinder Johan und Rita, die den Krieg in japanischen Gefangenenlagern im besetzten Niederländisch-Indien verbracht hatten. Mein Vater war äußerst beleidigt. Oma Annetje hatte das Haus schließlich uns versprochen. Sie hatte immer gesagt: »Nach Christiaans Tod gehört Vosseveld euch. Ich ganz allein in dem großen Haus? Da denke ich doch nicht im Traum dran.«
    Die
Indiërs
zeigten sich von diesem Versprechen unangenehm überrascht. Erst Onkel Henk war es gelungen, die Gemüter zu besänftigen.
    Im entscheidenden Moment hatte Oma Annetje es sichdann aber anders überlegt und wollte überhaupt nicht mehr ausziehen. Es hatte den Anschein, als sei sie aus dem Haus gar nicht mehr rauszukriegen. Inzwischen war es längst abgerissen.
    Der Überlieferung zufolge war Vosseveld ursprünglich ein Teepavillon gewesen, der zu einem größeren, nahe gelegenen Landgut gehörte. Prinz
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