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Fratze - Roman

Titel: Fratze - Roman
Autoren: PeP eBooks
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passiert sei.
    »Es ist von Vögeln gefressen worden«, hätte ich geantwortet.
    Vögel haben mein Gesicht gefressen.
    Aber die Menschen haben sich nicht dafür interessiert. Die Menschen bedeutet allerdings nicht Brandy Alexander.
    Glaubt bloß nicht, dass das nur ein großer Zufall war. Wir mussten einander begegnen, Brandy und ich. Wir hatten so viel gemeinsam. Wir hatten beinahe alles gemeinsam. Dazu kommt, dass wir, ob durch Unfall oder durch die Schwerkraft, am Ende schließlich alle irgendwie verkrüppelt sind. Bei den einen geht’s schneller, bei den anderen langsamer. Die meisten Frauen kennen dieses Gefühl, dass man von Tag zu Tag ein Stückchen unsichtbarer wird. Brandy war monatelang im Krankenhaus, genau wie ich, und so viele Krankenhäuser, wo man schwerwiegende Schönheitsoperationen durchführen lassen kann, gibt es nun auch wieder nicht.
     
    Springt zurück zu den Nonnen. Die Nonnen waren am schlimmsten mit ihrem ewigen Drängen, die Nonnen, die gleichzeitig Krankenschwestern waren. Eine erzählte mir
dauernd von einem Patienten aus einem anderen Stockwerk, der so lustig und charmant war. Er war Rechtsanwalt und machte tolle Zaubertricks nur mit seinen Händen und einer Papierserviette. Diese Tagesschwester gehörte zu den Nonnen, die eine weiße Krankenschwesternversion ihrer regulären Nonnentracht tragen, und sie hatte diesem Rechtsanwalt schon alles von mir erzählt. Das war Schwester Katherine. Sie erzählte ihm, ich sei lustig und intelligent, und sie meinte, es wäre doch schön, wenn wir zwei uns kennenlernen und uns heftig ineinander verlieben würden.
    Das waren ihre Worte.
    Auf halber Höhe ihres Nasenrückens hockte die Drahtbrille, durch die sie mich ansah, mit langen viereckigen Gläsern, die wie Objektträger eines Mikroskops aussahen. Kleine geplatzte Äderchen sorgten dafür, dass ihre Nasenspitze immer rot war. Rosacea, so nannte sie das. Es wäre leichter, sie sich in einem Lebkuchenhaus vorzustellen als in einem Kloster. Mit dem Weihnachtsmann verheiratet anstatt mit Gott. Die gestärkte Schürze, die sie über ihrem Habit trug, war so gleißend weiß, dass meine Blutflecken, als ich nach meinem schlimmen Autounfall frisch eingetroffen war, daneben richtig schwarz aussahen.
    Man gab mir einen Kugelschreiber und Papier, damit ich kommunizieren konnte. Man wickelte meinen Kopf in Verbände, meterweise Gaze, fest über die Wundpolster aus Baumwolle geschlungen und überall mit Metallklammern verspannt, damit ich das Zeugs nicht wieder abmachte. Direkt auf die Haut wurde eine dicke Schicht antibiotisches Gel geschmiert, beengend und toxisch unter den Baumwollpolstern.

    Meine Haare wurden nach hinten gezogen, lagen vergessen und heiß unter der Gaze, wo ich nicht rankam. Die unsichtbare Frau.
    Als Schwester Katherine den anderen Patienten erwähnte, fragte ich mich, ob ich ihn vielleicht schon irgendwo hatte rumlaufen sehen, ihren Rechtsanwalt, diesen schnuckeligen, lustigen Zauberkünstler.
    »Ich habe nicht gesagt, dass er schnuckelig ist«, sagte sie.
    Schwester Katherine sagte: »Er ist immer noch ein bisschen schüchtern.«
    Auf den Papierblock schrieb ich:
    immer noch?
    »Seit seinem kleinen Missgeschick«, sagte sie, und beim Lächeln wölbte sie die Augenbrauen und drückte alle ihre Kinne gegen den Hals. »Er hatte sich nicht angeschnallt.«
    Sie sagte: »Er ist von seinem eigenen Wagen überfahren worden.«
    Sie sagte: »Schon deswegen würde er perfekt zu Ihnen passen.«
    Gleich zu Anfang, als ich noch ruhiggestellt war, hatte man den Spiegel aus meinem Bad entfernt. Die Schwestern schienen mich von allen blanken Sachen fernzuhalten, so wie man Selbstmordkandidaten von Messern fernhält. Oder Säufer vom Alkohol. Das Spiegelähnlichste, was ich hatte, war der Fernseher, und der zeigte nur, wie ich früher ausgesehen hatte.
    Wenn ich darum bat, die Polizeifotos von dem Unfall sehen zu dürfen, sagte die Tagesschwester jedes Mal: »Nein.« Die Fotos lagen in einer Akte in der Schwesternstation, und anscheinend durfte jeder sie einsehen, nur ich nicht. Die Krankenschwester sagte immer: »Der Doktor findet, Sie hätten fürs Erste genug gelitten.«

    Dieselbe Tagesschwester versuchte mich mit einem Buchhalter zu verkuppeln, dessen Haare und Ohren bei einer Panne mit einer Propangasflasche verbrannt waren. Sie machte mich mit einem Studenten bekannt, der bei einem bisschen Krebs den Kehlkopf und die Nebenhöhlen eingebüßt hatte. Mit einem Fensterreiniger, der kopfüber aus
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