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For the Win - Roman

For the Win - Roman

Titel: For the Win - Roman
Autoren: Cory Doctorow
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humpelte nach draußen. Am Ende des Flurs stand der Nachtwächter – ein Jugendlicher mit blassem Gesicht, der noch jünger als Matthew war, höchstens sechzehn. Er trug eine Uniform, die für seine Hühnerbrust zwei Nummern zu groß war, und einen Hut, der ihm ständig über die Augen rutschte, sodass er unter der Krempe hervorlugen musste. Er wirkte wie ein Kind, das sich den Hut seines Vaters zum Spaß ausgeborgt hat.
    Bei Matthews Anblick machte er große Augen. »Bist du verletzt? Kommst du klar?«, fragte er.
    Matthew tastete sich ab und zuckte zusammen, als ihm stechende Schmerzen in Ohren und Nacken schossen.
    »Wird schon gehen, glaub ich. Danke der Nachfrage.«
    »Ist schon okay«, meinte der Junge. »Ist ja mein Job. Aber für die Tür musst du leider zahlen.«
    Matthew ballte und öffnete die Fäuste und humpelte die Treppe runter, hinein ins Licht der Neonröhren und die Nacht von Shenzhen. Es war fast Mitternacht, aber die Jiabin Road war immer noch voller Düfte und Musik, Schlepper und Straßenhändler, alter Frauen, die den Ausländern nachstellten, sie an den Ärmeln zupften und auf Englisch »schöne junge Mädchen« anboten. Er wusste nicht, wohin er ging, also lief er einfach immer weiter, so schnell er konnte, und versuchte dabei die Schmerzen und die Ungeheuerlichkeit seines Verlusts zu vergessen. Seine Rechner hatten in der Herstellung zwar nicht viel gekostet, er hatte aber auch nie viel Geld gehabt. Sie waren fast alles gewesen, was er besaß, abgesehen von den Comics, ein paar Klamotten – und der Streitaxt. Oh, die Streitaxt. Das war eine schöne Vorstellung: die Axt zu nehmen und sie wie ein Schwarzelf über dem Kopf zu schwingen. Das Pfeifen, mit dem die Klinge die Luft durchschnitt, der satte Klang, mit dem sie sich ins Fleisch der Männer grub …
    Er wusste natürlich, dass das lächerlich war. Seit seinem zehnten Lebensjahr war er nicht mehr in einen Kampf verwickelt gewesen. Bis letztes Jahr war er sogar Vegetarier gewesen! Er würde niemanden mit einer Streitaxt erschlagen. Sie war ebenso nutzlos wie seine zerstörten Computer.
    Seine Schritte verlangsamten sich. Mittlerweile hatte er das Zentrum um den Hauptbahnhof verlassen und befand sich im äußeren Ring des Stadtkerns, wo es dunkel und still war, wie immer. Er lehnte sich gegen das Stahlgitter eines Lebensmittelgeschäfts, stützte die Hände auf die Schenkel, ließ den schmerzenden Kopf hängen.
    John, Matthews Vater, hatte es im neuen Shenzhen zu etwas gebracht – eine Ausnahme innerhalb des kantonesischen Freundeskreises. Als Deng Xiaoping die Regeln geändert und das Perlflussdelta zur Sonderwirtschaftszone erklärt hatte, waren über Nacht jede Menge Leute aus den Provinzen nach Shenzhen geströmt, wo Johns Familie seit Generationen ansässig war. Diese Menschen waren ins kalte Wasser gesprungen und hatten ihre sicheren Arbeitsplätze in staatseigenen Fabriken aufgegeben, um hier, an der Südküste Chinas, ihr Glück zu machen. Schlagartig hatte sich für Matthews Familie alles geändert. Sein Großvater, ein christlicher Geistlicher, der während der Kulturrevolution in einem Arbeitslager inhaftiert gewesen war, hatte sich nie daran gewöhnt – ein Problem, das er mit vielen einheimischen Kantonesen teilte. Sie schienen auf der Stelle zu treten, während die Zugewanderten sie mit wehenden Fahnen überholten und zu Reichtum und Macht gelangten.
    DochMatthewsVaterbildeteunterdenKantonesen,wiegesagt,eineAusnahme.ErhattealsChauffeurfürdenBosseinerSchuhfabrikangefangen,allerdingserstwährendderArbeitdasFahrengelernt,sodasserdenWagenmehralseinmalfastgeschrottethätte.AberseinemChefschiendasnichtsauszumachen.SchließlichhatteerselbstnochnieineinemAutogesessen,eheerinShenzhengroßrausgekommenwar.
    Eines Tages hatte John seine Chance bekommen und sie wahrgenommen, wie er oft und gern erzählte.
    Der Chefdesigner der Schuhfabrik erkrankte, die Produktion kam fast zum Erliegen, und am Fließband stritten sich die Mädchen darüber, wie sie das Leder für einen neuen Auftrag zuschneiden sollten. Ein paar Tage lang hörte John sich den Streit an und dachte in aller Ruhe nach, während das Fließband langsam vor sich hin ruckelte. Dann stand er auf, schloss die Augen und stellte sich so lange das ruhige Meer vor, bis sich sein rasender Herzschlag wieder normalisierte. Danach spazierte er ins Büro seines Chefs und erklärte: »Ich weiß, wie man diese Häute schneidet.«
    Es war keine leichte Aufgabe. Die Häute hatten alle
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