Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flutgrab

Flutgrab

Titel: Flutgrab
Autoren: Meister Derek
Vom Netzwerk:
gefährlich genug, dass bereits Männer vom Rat wie Dartzow sich seiner Kenntnisse bedienen wollten. »Vielleicht wurde sie vergiftet. Das ist aber eher unwahrscheinlich. Jedenfalls ist sie wohl erstickt.«
    »Erdrosselt! Also doch.«
    » Erstickt . Nicht erdrosselt.« Er wischte sich Schweiß von Wange und Stirn. Die schwere Luft machte das Atmen schwer. Wieso hatte dieser andauernde Regen keine kühle Luft gebracht? Lübeck schwamm in einem Grapen, über den man den Deckel gelegt hatte.
    »Woran seht Ihr das? Woran seht Ihr so was nur, Rungholt?«
    »Bläuliche Haut, und da sind Fleckchen. Blutpunkte in den Lidern, geplatzte Äderchen in ihren Augen. Seht es Euch selbst an.« Lächelnd griff er nach dem löchrigen Leichentuch, wohl wissend, dass Dartzow den Anblick nicht ertragen würde. Der Bürgermeister winkte ab.
    »Sie hat keine Luft mehr bekommen. Oder vor ihrem Tod einen sehr starken Husten. Hatte Agnes Husten?«
    »Weiß nicht.«
    »Keinen Husten. Aha. Dann ist sie erstickt. Ich bleibe dabei.«
    »Das ist alles?«
    »Lasst mich sie aufschneiden. Ich entnehme ihr Herz, Leber, Nieren und Lunge, wenn Ihr es genau wissen wollt. Aber dieser Körper, er spricht nicht mehr zu mir.«
    »Aufschneiden?« Dartzow bekreuzigte sich. »Lasst es gut sein. Beim lieben Vater im Himmel.«
    »Ihr wolltet meine Meinung … Sie ist seit Tagen verschwunden. Eine unglückliche Liebe, eine Leben auf der Straße. Hat dieser … dieser Böttcher …«
    »Meenkens? Aus der Hüxstraße.«
    »Ja. Hatte der überhaupt noch das Geld, um sie zu bezahlen? Um ihr Essen zu geben? Seht Euch diesen Leib an.« Mit einem Knurren zog er das Leichentuch jetzt doch noch einmal fort und riss ihre Tunika auf, sodass ihre eingefallene Brust und ihr schmaler Körper offen und bloß dalagen.
    Im Leben musste sie bereits klein und zierlich gewesen sein wie ein Kind. Im Tode war sie schlank wie ein Aal. Ihre Rippen zeichneten sich als staksende Wellen ab. Ihr Bauch war eine Kuhle. Haut spannte sich über Knochen.
    »Das kommt nicht von der Verwesung … Sie wäre dieser Tage nicht die Erste, die Rinde, Pferdeäpfel und Steine frisst und dran krepiert, Dartzow.« Am liebsten hätte er hinzugefügt:
    In diesen Tagen stirbt es sich leider viel zu oft einfach so in Lübeck.

2
    »Cooooooooonnnntz! … Dreck! … Verkackter Saubengel von einem Bangbüx! Dieser räudige Kotzenschalc!« Rungholts sonore Flüche hallten durch die Nacht. Von Gallberg kommend, war er geradewegs in sein Schlafgemach geeilt. Mit hochrotem Kopf riss er am Himmelbett herum und verfluchte die Wassertropfen, die durch die Deckenbalken bis auf seine Wangen fielen. Sie kühlten ihn nicht im Mindesten ab. Im Gegenteil.
    Über seine Tirade erschrocken, rutschte Hilde der Ledereimer aus der Hand. Gemeinsam mit Rungholts Frau Alheyd hatte die Magd Henkelkannen, Schüsseln, selbst eine alte Truhe als Tropfenfänger im Schlafzimmer aufgestellt.
    »Ich werde … Der soll meine Knute spüren«, belferte Rungholt. »Wieso hat Contz nicht nachgesehen? Wieso habt ihr nutzlosen Weiber nicht nachgesehen! … Ich könnt meine Bruche vollkotzen! Verflucht seid ihr alle!«
    »Rungholt!«, fuhr Alheyd ihn entsetzt an.
    »Ist doch wahr!« Er ließ einen langgezogenen Schrei vernehmen, atmete dann endlich durch. »Wo steckt dieser Contz, dieser Sack?«
    »Zu mir hat er gesagt, er hat alles festgebunden. Er wollte nur nicht aufs Dach. Zu glitschig auf den Schindeln«, erklärte Alheyd milde. Normalerweise liebte er seine sehr viel jüngere Frau für ihren Feinsinn und ihre gütige Ader, aber in solchen Momenten wünschte er sich, eine der Hafendirnen geehelicht zu haben. »Er wollte warten, bis es aufhört zu …«
    »Zu regnen ?«, fuhr er Alheyd an. »Brillant!« Vor Zorn lachend, trat Rungholt eine der Kannen um. Sie flog scheppernd gegen das Himmelbett und spritzte alles voll. » Warten, bis es aufhört zu regnen! Ich werd ihn prügeln, da geht ihm die Sonne auf! Das sag ich dir. Das wird ein Fest, wird das! … Cooooontz!«
    »Wir haben gemeinsam mit ihm auf den Dachböden alles zur Seite geschoben. Ist nur halb so schlimm. Wir …«
    »Was hier schlimm ist, das entscheide ich. Weib!«
    Rungholt schob Alheyd beiseite und blaffte seine Magd an: »Hol mehr Grapen. Und stell sie auf den Dachboden. Direkt unter die Löcher, du dummes Stück. Und wisch da oben auf! Nicht hier.« Es war lange her, dass er mit der treuen Hilde so umgesprungen war, doch er ahnte Fürchterliches, und Agnes’ Leichenschau hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher