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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt
Autoren: James Dickey
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solange sie sich nur bemühten und pünktlich waren.
    Die größeren Agenturen in der Stadt und die Filialen der wirklich bedeutenden Agenturen New Yorks und Chicagos arbeiteten kaum mit uns zusammen. Gelegentlich unter-breiteten wir ihnen ohne großen Enthusiasmus Angebote, aber wenn diese keine Gegenliebe fanden, waren wir – oder zumindest Thad und ich – ganz damit zufrieden, so weiterzumachen wie bisher. Wir arbeiteten am liebsten und am besten mit den Agenturen zusammen, die eine ähnliche Einstellung hatten wie wir – die nicht auf Sensationen aus waren, sondern ihre Kunden gut bedienten. Wir führten kleinere Aufträge für Firmen aus der Stadt und der näheren Umgebung aus, für Banken, Juweliere, Supermärkte, Radiostationen, Großbäckereien, Textilfabriken. Damit kamen wir ganz gut zurecht.
    Ich ging gerade im Schatten eines großen Baumes, als ich das Bier in mir hochkommen fühlte, nicht in meiner Kehle, sondern in meinen Augen. Das Tageslicht blendete schmerzhaft, schien alles irgendwie zu verzerren, und durch das Flimmern fiel ein Blatt, das an der Spitze ungewöhnlich gefärbt war. Zum erstenmal wurde mir bewußt, daß der Herbst vor der Tür stand. Ich ging das letzte Stück der leicht ansteigenden Straße hinauf und hatte es schon fast geschafft, als ich plötzlich die vielen Frauen um mich herum bemerkte. Von der Tankstelle an war ich keinem einzigen Mann mehr begegnet. Ich blickte in die vorbeifahrenden Wagen, aber in den wenigen Minuten bis zum Bürogebäude kam mir nicht einer zu Gesicht. Die Frauen waren fast alle Sekretärinnen und Büroangestellte, Mädchen, junge und ältere Frauen, und ihre Frisuren, hochgetürmt, mit Spray behandelt, gelockt oder toupiert, ließen sie alle so steif und künstlich erscheinen, daß mich die schiere Verzweiflung packte. Ich hielt nach einem soliden Hintern Ausschau und entdeckte auch einen in einem beigefarbenen Rock, aber als mir das Mädchen ihr langweiliges, kaugummikauendes Gesicht zuwandte, war alles vorbei. Ich fühlte mich plötzlich, wie George Holley, mein alter Braque-Enthusiast, sich gefühlt haben mußte, wenn er sich im Atelier bei uns immer wieder sagte, ich arbeite zwar für euch, gehöre aber nicht zu euch. Aber ich wußte es besser. Ich gehörte zu ihnen, da gab es keinen Zweifel, zu denen, die da vor mir dem Bürogebäude zustrebten. Und ich befand mich mitten in einer jener Menschenschlangen, die sich, wie in einer Zeremonie, an einem modernen Trottoirbrunnen voller Münzen teilten. Die Tür drehte sich, und ein kleines Mädchen mit Bienenkorbfrisur schoß unter meinem Arm hindurch in die kalte Luft im Innern. Mit mir und einigen anderen Frauen drang leise der Atem der Mittagspause durch die Drehtür ins Gebäude. Im Fahrstuhl die übliche Musik, und zu den Klängen von ›Wiener Blut‹ – gespielt von zahllosen Violinen – sausten wir nach oben.
    In der kurzen Spanne zwischen Anfang und Ende eines Motivs sackte mein Magen wie ein Stein nach unten. Ich lockerte meinen Gürtel, und als ich mir die Stirn mit dem Jackenärmel abwischte, beruhigte sich das Bier. Im sechsten Stock gab es nur noch zwei weibliche Überlebende und mich; die anderen arbeiteten in den offenen Großraumbüros der unteren Stockwerke – Versicherungsgesellschaften. Ich ging den sauberen fensterlosen Gang entlang auf die Tür unseres Ateliers zu, deren Glas mit einem Pferdekopf geschmückt war. Ihn verdankten wir Holley, der hier einen von Braques Vögeln in einen Pegasus verwandelt hatte. Als ich eintrat, flog er lautlos zur Seite und dann, hinter mir, wieder an seinen Platz zurück.
    »Irgendwelche Anrufe?«
    »Nichts Wichtiges, Mr. Gentry. Shadow-Row Shell erwartet in der nächsten Woche die Verträge. Eine junge Dame, die ihren Namen nicht genannt hat, wollte sich bei Ihnen um eine Anstellung bewerben. Sie ruft noch einmal an. Und das Fotomodell für Katts ist da.«
    »Vielen Dank«, sagte ich zu Peg Wyman, die von Anfang an bei uns war und das bei jeder Gelegenheit spüren ließ. »Ich geh schon nach hinten.«
    Während ich durch den Empfangsraum schritt, knöpfte ich langsam den Mantel auf. Zum erstenmal wurde mir bewußt, daß dieser Raum Teil eines größeren Raumes war, der sich in dieser Etage fast über die ganze Länge des Gebäudes erstreckte. Es war alles sehr geschmackvoll gemacht.
    Thad und ich hatten schöne große Büroräume, die von starkem indirektem Licht beleuchtet wurden, und die besser bezahlten Art-Directors – oder die, die schon
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