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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt
Autoren: James Dickey
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kannte –, schien er ganz gut zurechtzukommen. Er war sehr gesellig, und es hätte ihn gar nicht weiter gestört, wenn ihn jemand als den geborenen Geschäftsmann bezeichnet hätte. Er sei gern mit Menschen zusammen, sagte er, und die meisten Leute mochten ihn auch – einige wirklich und andere nur deshalb, weil er Junggeselle und ein guter Dinner- oder Partygast war. Er war allgegenwärtig. Wohin ich auch ging, traf ich ihn oder sah ihn kurz hereinschauen oder sich verabschieden. Wenn ich auf dem Golfplatz oder in einem Supermarkt war, konnte ich sicher sein, daß ich ihm begegnete; wenn ich von vornherein damit rechnete, daß er mir über den Weg lief, traf ich ihn sicher, und wenn ich nicht darauf gefaßt war, traf ich ihn auch. Er war ein angenehmer, höflicher Mensch; einmal hatte ich allerdings auf einer Party miterlebt, wie er hochging, und das hatte ich nie vergessen. Den Grund weiß ich heute noch nicht, aber sein Gesicht verzerrte sich auf fürchterliche Weise – der Tobsuchtsanfall eines schwachen Herrschers, aber das war nur einmal passiert.
    Drew Ballinger war ein ruhiger und aufrechter Bursche. Er lebte für seine Familie, besonders für seinen kleinen Sohn Pope, der einen hornartig vorstehenden Blutknoten auf der Stirn hatte, um den die eine Augenbraue herumwuchs, so daß einem die Schrecken der Biologie bewußt wurden. Drew arbeitete als Verkaufsleiter einer großen Firma für Erfrischungsgetränke, und er glaubte mit ganzem Herzen an seine Firma und an das, was sie angeblich repräsentierte. Auf einem Tischchen in seinem Wohnzimmer lag ein Exemplar der Firmengeschichte, und ich habe ihn nur ein einziges Mal aus der Haut fahren sehen, und zwar, als ein Konkurrenzunternehmen damit warb, daß seine Getränke gewichtsreduzierend wirkten. »Verdammte Lügner«, hatte er gesagt. »Sie haben genausoviel Kalorien wie wir, und wir können es beweisen.«
    Aber Lewis und ich waren anders, und auch wir unterschieden uns voneinander. Ich hatte nichts von seinem Schwung und von seiner Besessenheit. Lewis strebte nach Unsterblichkeit. Er hatte alles, was das Leben zu bieten hatte, aber er konnte damit nichts anfangen. Und er konnte weder verzichten noch mit ansehen, wie das Alter ihm nahm, was er wollte, weil er in der Zwischenzeit ja vielleicht herausfand, was er denn eigentlich wollte – irgend etwas mußte es ja sein, und ebendies wollte er um jeden Preis seinem Willen unterwerfen. Er gehörte zu den Menschen, die mit allen Mitteln – Gewichtheben, Diät, Gymnastik, mit Leitfäden für alles, von der Taxidermi bis hin zur modernen Kunst – versuchen, Körper und Geist fit zu erhalten, sie zu stählen, um so die Zeit zu überlisten. Und trotzdem war er der erste, der etwas riskierte, so als ob die Bürde seiner mühselig erstrebten Unsterblichkeit zu schwer zu tragen sei und er sie durch einen Unfall oder durch etwas, das anderen als Unfall erscheinen würde, loswerden wollte. Vor ein oder zwei Jahren war er fünf Kilometer weit durch einen Wald gestolpert und gekrochen, um wieder zu seinem Auto zu kommen, und dann war er nach Hause gefahren, indem er das Gaspedal mit einem Stock bediente, weil er sich höchst schmerzhaft den rechten Knöchel gebrochen hatte. Ich besuchte ihn hauptsächlich deshalb im Krankenhaus, weil er mich vorher darum gebeten hatte, mit in den Wald zu fahren, und ich hatte keine Zeit gehabt, und ich fragte ihn, wie er sich fühlte. »Es ist der reine Luxus«, sagte er. »Jetzt brauche ich jedenfalls eine Weile lang nicht mehr Gewichte zu heben oder den Punchingball zu bearbeiten.« Ich sah zu ihm hinüber. Er hatte ein Gesicht wie ein Falke, wie ein ganz besonderer Falke, ein Gesicht, das nicht von oben nach unten modelliert zu sein schien, sondern so aussah, als sei es von beiden Seiten her mit flachen Händen in eine langnasige Form gepreßt worden. Seine Haut hatte die Farbe roten Lehms, und sein Haar war aschblond mit einem weißlichen Fleck oben am Wirbel, wo das Haar dunkler wurde.
    »Also«, sagte er, »wie steht es nun?«
    Ich war sehr froh, daß ich mitfuhr. Während ich an Drew und seine klare Vorstellung von den Dingen dachte, entstand vor meinen Augen das Bild meines Nachmittags. Ohne daß ich es wollte, leuchteten die Atelierlampen auf, und ich hörte das Rascheln von Zeitungspapier unter meinen Füßen. Ich sah das Fotomodell vor mir, obwohl ich sie nur von einem Gruppenbild her kannte, auf dem sie beim Schönheitswettbewerb einer benachbarten Kleinstadt in der zweiten
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