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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt
Autoren: James Dickey
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achtunddreißig oder neununddreißig Jahren einer der kräftigsten Männer, denen ich jemals die Hand geschüttelt hatte. In einem wohlüberlegten, alternierenden Rhythmus stemmte er jeden Tag Gewichte und schoß mit dem Bogen; und er verdankte dem eine solche Stärke, daß er einen gut fünfzig Pfund schweren Bogen mit Leichtigkeit zwanzig Sekunden lang voll gespannt halten konnte. Ich sah einmal, wie er mit einem Aluminiumpfeil, der eigentlich nur für die Zielscheibe bestimmt war, auf vierzig Meter Entfernung eine Wachtel tötete, wobei der Pfeil im allerletzten Moment in die Schwanzfedern des Tieres eindrang. Ich ging fast immer mit, wenn er mich dazu aufforderte. Ich besaß einen Bogen, bei dessen Kauf er mich beraten hatte, und ein paar Zusatzgeräte und andere Teile, die zur Ausrüstung gehören; es machte mir Spaß, mit Lewis in den Wäldern herumzustreifen, wenn das Wetter gut war, und das ist bei uns im Süden während der Jagdsaison fast immer der Fall. Da alles in einer so reizvollen Landschaft stattfand, und auch wegen Lewis, mochte ich das Bogenschießen im freien Gelände – mit der vagen Aussicht, vielleicht eines Tages einen Hirsch zu erlegen – lieber als Golf.
    Aber in Wirklichkeit ging es doch mehr um Lewis. Er war der einzige unter meinen Bekannten, der entschlossen war, etwas aus seinem Leben zu machen, und der dazu sowohl die Mittel als auch den Willen besaß. Ich wollte miterleben, wie er es schaffte; schon das Experiment faszinierte mich. Ich selbst hielt nicht viel von Theorien. Aber bei diesem Ausflug hatte ich ein gutes Gefühl. Nach dem häufigen Schießen auf Papphirsche war der Gedanke, einmal einem wirklichen zu begegnen, aufregend.
    »Wie kommen wir eigentlich zum Fluß?« fragte Drew Ballinger.
    »Hinter den ersten Höhenzügen gibt es ein kleines Kaff namens Oree. Wir können da in die Kanus steigen, und zwei Tage später sind wir in Aintry. Wenn wir Freitag noch aufs Wasser kommen, können wir Sonntag am späten Nachmittag wieder hier sein, vielleicht gerade noch rechtzeitig für die zweite Hälfte der Fernsehübertragung von den Profispielen.«
    »Etwas stört mich bei der Sache«, sagte Drew. »Wir wissen doch gar nicht, worauf wir uns da einlassen. Keiner von uns weiß auch nur das Geringste über Wälder oder über Flüsse. Das letzte Boot, in dem ich saß, war die Motoryacht meines Schwiegervaters auf dem Lake Bodie. Ich kann ein Boot nicht einmal geradeaus rudern, ganz zu schweigen vom Paddeln eines Kanus. Was habe ich in den Bergen überhaupt zu suchen?«
    »Hör mal«, sagte Lewis und machte mit dem Knöchel seines Zeigefingers eine Klopfbewegung in der Luft. »Wenn du heute abend mit dem Wagen nach Haus fährst, bist du in größerer Gefahr als auf dem Fluß. Braucht nur jemand die Spur zu wechseln oder was weiß ich.«
    »Ich meine«, sagte Bobby, »das ganze Unternehmen ist doch irgendwie verrückt.«
    »Na schön«, sagte Lewis. »Ich will’s mal anders erklären. Was habt ihr heute nachmittag vor?«
    »Also«, sagte Bobby und überlegte eine Minute. »Höchstwahrscheinlich werde ich ein paar neue Kunden für Investmentpapiere zu gewinnen versuchen. Außerdem muß ich noch einige Verträge aufsetzen und notariell beglaubigen lassen.«
    »Und was ist mit dir, Drew?«
    »Besprechung mit unseren Vertretern. Wir wollen endlich eine klare Vorstellung davon gewinnen, wer überhaupt was macht und wo wir mit den Verkäufen zurückfallen. Wir versuchen, den Absatz unserer Kaltgetränke anzuheben. Manchmal steigt er, manchmal sinkt er ab. Im Augenblick sind wir gerade in einer Talsohle.«
    »Ed?«
    »Oh«, sagte ich. »Ich werde ein paar Fotos für Katts’ Textilfabriken machen. Katts’ Angoras. Kesses Mädchen in unseren Höschen streichelt ihr Kätzchen. Aber eine richtige Katze natürlich.«
    »Wie schade«, sagte Lewis und grinste, obgleich er nicht gern über Sex zu reden schien. Er hatte sein Ziel erreicht, ohne etwas darüber zu sagen, was er am Nachmittag vorhatte. Er blickte sich in der Bar um, stützte das Kinn auf die Hand und wartete darauf, daß die beiden anderen einen Entschluß faßten. Ich dachte, daß sie wahrscheinlich nicht mitmachen würden. Sie waren mit ihrem Alltagsleben zufrieden, sie litten nicht unter Langeweile wie Lewis und ich, und besonders Bobby schien das Leben, das er führte, durchaus zu genießen.
    Er stammte, glaube ich, aus einem anderen der Südstaaten, vielleicht aus Louisiana, und seitdem er hier war – jedenfalls seitdem ich ihn
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