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Fluesterndes Gold

Fluesterndes Gold

Titel: Fluesterndes Gold
Autoren: Carrie Jones
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noch einmal nach dem Auto gesehen. Richtig: Das Preisschild ist weg.
    Ich höre einen Augenblick auf zu denken, denn das Interessante sind nicht die Stiefelabdrücke.
    Keineswegs.
    Neben Bettys Fußstapfen sind die Abdrücke großer Hundepfoten. Jedenfalls glaube ich, dass es Hundepfoten sind. Katzen werden nicht so groß. Ich lege den Kopf schief. Ich wusste nicht, dass sie einen Hund besitzt. Wahrscheinlich hatte ich ihn in der Nacht gehört. Und wahrscheinlich hatte ich auch ihn am Waldrand gesehen. Vielleicht war es aber auch ein tollwütiger Bernhardiner wie Cujo, der nur darauf wartete, sich mit roten Augen, feucht schimmernden Lefzen und gewaltigen Reißzähnen auf mich zu stürzen. Cynophobie in Reinform.
    Ich schlage mir die Hand vor die Stirn, um mich zur Vernunft zu bringen.
    »Ich lese zu viel Stephen King.«
    In Wahrheit habe ich diese in Maine spielenden Horrorgeschichten seit der siebten Klasse nicht mehr gelesen, weil mein Dad es mir verboten hatte.
    Was hatte er gesagt?
    »Stephen ist toll, aber er rückt Maine in ein schlechtes Licht.«
    Weil ich an meinen Dad denke, kommt mir jeder Atemzug vor wie eine Anstrengung. Ich schiebe die Träger meiner Handtasche über die Schulter und klettere in mein Auto. Auch auf dem Armaturenbrett hat Grandma Betty eine Nachricht für mich hinterlassen.
    Schalte das Gebläse ein.
    Das ist der Schalter mit der Wellenlinie.
    Ich finde den Schalter, kann ihn aber mit meinen zitternden Fingern kaum bedienen. Kalte Luft strömt heraus. Es fühlt sich an wie der Kuss eines Yeti oder eines der Stephen-King-Horrormonster aus der Hölle, die einem die Seele heraussaugen. Oder war das in Harry Potter? Keine Ahnung.
    Die Luft trifft auf meine Lippen. Ich spüre, wie sie aufplatzen. Ehrenwort.
    »Na toll.«
    Es dauert fünf Minuten, bis die Windschutzscheibe frei ist. Ich nutze die Zeit, ins Haus zurückzuschleichen und meine Mütze zu holen – immer auf der Hut vor tollwütigen Hunden. Wieder zurück im Auto fahre ich aus der Einfahrt hinaus und lerne noch etwas über Eis: Es ist nicht leicht, darauf zu fahren. Man kann nicht schneller fahren als dreißig, sonst rutscht man auf die Gegenfahrbahn.
    Scheißeis.
    Als ich bei der Schule angekommen bin, sind die Knöchel meiner Hände weiß vor Angst und vor Kälte und mein Herz schlägt ungefähr eine Million mal pro Minute, deshalb bin ich auch nicht übermäßig begeistert davon, dass mir ein Idiot in einem wunderschönen roten Mini Cooper den Weg abschneidet und in den Parkplatz vor mir hineinfährt. Er hat Schneeketten an den Reifen. Sie drehen nicht durch. Ich liebe Minis.
    »He!«, schreie ich, während meine Bremsen mal wieder blockieren.
    Ich fahre vorsichtig Zentimeter um Zentimeter in eine Parklücke hinein, lege den Kopf auf das Lenkrad und erlaube mir auszuatmen. Am liebsten würde ich den Typen in dem Mini verprügeln, aber das ist kein besonders gewaltloser Gedanke. Stattdessen werde ich friedfertig und brav sein, sodass mein Dad stolz auf mich ist. Ich berühre den Faden an meinem Finger. Er sitzt locker und ist ausgefranst, aber er ist immer noch da.
    »Ich wende keine Gewalt an«, leiere ich murmelnd vor mich hin. »Ich wende keine Gewalt an. Ich bin friedfertig und brav. Ich bin friedfertig und brav. Ich zeige niemandem den Stinkefinger.«
    Ich stelle den Motor ab, steige aus und warte.
    Der Mini-Fahrer springt mit einer Anmut aus seinem Wagen, die nur wirklich gute Sportler haben, und landet ohne auszurutschen auf einer Eisplatte. Er hat Stiefel an den Füßen. Meine Güte, die Jungs hier oben tragen tatsächlich Stiefel, hellbraune Ich-bin-Zimmermann-Stiefel. Ich komme mir vor, als hätte ich die Zivilisation komplett hinter mir gelassen.
    Er schlägt die Tür zu, dreht sich um und bemerkt endlich, dass es mich gibt. Wie freundlich von ihm.
    Mein Herz setzt aus. Dann schlägt es wieder, aber um einiges schneller, als sich unsere Blicke treffen. Ich bin erstarrt, er schreitet über das Eis, als ob er sich auf Kies oder Gras bewegen würde. Kein einziges Mal rutscht er aus. Jeder Schritt bringt ihn mir näher, und er bleibt erst stehen, als ich die tiefbraune Iris um seine Pupillen herum erkenne und die winzigen Stoppeln auf seinen Wangen und seinem Kinn (gerade so viel, dass man sieht, dass er sich oft rasieren muss). Ich kann sogar seinen Moschusduft riechen. Er ist so nah, dass er in mein Territorium eindringt, nein, in meinen persönlichen Raum. Ich weiche einen Schritt zurück und rutsche aus. Seine Hand
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